Anlässlich der heutigen Pressekonferenz im Palais des Nations in Genf sprach Aaron Greenberg, UNICEF-Regionalberater für Kinderschutz in Europa und Zentralasien über das psychosoziale Wohlbefinden der Kinder im Ukrainekrieg.
«Zwei Monate Krieg in der Ukraine haben 7,7 Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen gemacht und mehr als 5,5 Millionen Menschen über internationale Grenzen getrieben, darunter fast zwei Drittel aller Kinder in der Ukraine. Hunderte von Kindern wurden getötet und viele weitere verletzt. Es wurden fast 200 Angriffe auf Einrichtungen des Gesundheitswesens gemeldet, und Schulen sind weiterhin von Angriffen betroffen.
Die Ukraine hatte vor dem Krieg die höchste Zahl von Kindern in Heimen, Waisenhäusern, Internaten und anderen Betreuungseinrichtungen – insgesamt über 90 000 Kinder. Fast die Hälfte von ihnen haben Behinderungen. Die Auswirkungen des Krieges auf diese Kinder waren besonders verheerend. Zehntausende wurden zu Beginn des Krieges zu ihren Familien zurückgebracht, oftmals überstürzt. Viele haben nicht die Pflege und den Schutz erhalten, die sie benötigen, insbesondere Kinder mit Behinderungen.
Der Krieg hat sich auf das psychosoziale Wohlbefinden aller Kinder ausgewirkt. Auf alle. Die Kinder wurden aus ihren Häusern gerissen, von ihren Bezugspersonen getrennt und waren dem Krieg direkt ausgesetzt. Die Kinder wurden von Bombenexplosionen und den heulenden Sirenen der Raketenwarnsysteme erschüttert. Fast alle Kinder müssen mit der Abwesenheit ihrer Väter, älteren männlichen Geschwister oder Onkel fertig werden, da fast alle Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren für den Krieg mobilisiert wurden. Und vor allem haben viele Kinder körperliche und sexuelle Gewalt miterlebt oder erfahren.
Die jahrzehntelange Erfahrung von UNICEF in der Arbeit mit Kindern, die von bewaffneten Konflikten betroffen sind, zeigt indes, dass eine grosse Zahl der betroffenen Kinder wieder auf die Beine kommt, wenn sie wieder zur Schule gehen, mit ihrer Familie und ihren Nächsten in Kontakt bleiben und ein Stück Normalität in ihr Leben zurückkehrt. Ein Teil der Kinder wird intensivere psychologische Unterstützung benötigen. Und eine kleinere, aber wichtige Gruppe wird Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung zeigen, in der Regel nach 2 bis 4 Monaten nach ihrem Erlebnis. Diese Gruppe benötigt eine intensive Unterstützung durch ein spezielles Team von Experten.
Sozialarbeiter, Kinderpsychologen und andere Fachleute sind gleichermassen von diesem Konflikt betroffen. Und das Land braucht sie jetzt – vielleicht mehr als je zuvor. Es ist wichtig, diese Arbeitskräfte zu halten und sie zu unterstützen, damit sie bleiben und ihre Arbeit leisten können. Wir müssen uns mit dem Rückgrat der ukrainischen Sozialdienstleister solidarisch zeigen. Wir sind hier in Lviv, um Optionen für eine umfangreiche Unterstützung durch bestehende Regierungssysteme zu prüfen, um diese Arbeitskräfte zu unterstützen.
UNICEF arbeitet mit Hochdruck daran, die Regierung zu unterstützen, die Kinderschutzpartner zu koordinieren und die Investitionen in lokale NGOs und staatliche Dienste zu erhöhen.
Seit dem 24. Februar haben UNICEF und seine Partner mehr als 140 000 Kinder und ihre Bezugspersonen mit psychosozialen Diensten erreicht, die meisten davon in direktem Kontakt mit Kindern und ausgebildeten Psychologen. Über 34 000 Kinder haben von spezialisierten Diensten und von Überweisungen an Unterstützungsdienste profitiert, da wir mobile Teams von Sozialarbeitern, Kinderpsychologen, Krankenschwestern und Anwälten aufstellen. Wir haben jetzt 56 mobile Einheiten im ganzen Land im Einsatz, darunter 12 im Osten des Landes. Mehr als 7 000 Frauen und Kinder wurden durch Dienste zur Gewaltprävention und Risikominderung erreicht, auch in den östlichen Gebieten des Landes.
Aber das ist nicht genug. Obwohl wir mit Hochdruck arbeiten, müssen wir mehr spezialisierte Dienste für Kinder, die körperliche und sexuelle Gewalt überlebt haben, bereitstellen. Und Kinder mit Behinderungen, die unverhältnismässig stark unter dem Krieg gelitten haben, müssen dringend unterstützt werden. Die Regierung, UNICEF und ihre Partner bauen jetzt mehr Dienste für diese Kinder auf.»