Ein Statement von UNICEF Schweiz und Liechtenstein zur Forderung nach neuen Mindestvoraussetzungen beim Familiennachzug. Die Einschränkung künftig nur noch Kinder bis 15 Jahre nachziehen zu können, ist mit der Kinderrechtskonvention, weiteren Menschenrechtsverträgen und der internationalen Rechtsprechung nicht vereinbar.
In der Frühjahrssession 2025 diskutieren National- und Ständerat über zwei Motionen mit dem Namen «Von Dänemark und Schweden lernen: Familiennachzug auf die Interessen der Schweiz ausrichten» (Motionen NR 24.4320 und SR 24.4444). Siefordern neben einer Vielzahl an Verschärfungen die Mindestvoraussetzung, dass nachzuziehende Kinder nicht älter als 15 Jahre sein dürfen.
Ausländer- vs. Asylrechtlicher Kontext
Die rechtlichen Grundlagen für den Familiennachzug variieren je nach Migrationsstatus. Während im Ausländerrecht strenge wirtschaftliche Voraussetzungen gelten – etwa die Pflicht zur finanziellen Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Sozialhilfe (AIG, Art. 43 & 44) – bestehen im Asylbereich besondere Regelungen, die humanitäre Schutzaspekte berücksichtigen. Für Flüchtlinge ist das Recht auf Familieneinheit durch das internationale Flüchtlingsrecht und andere internationale Menschenrechtsinstrumente, wie z.B. die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK, Art. 8) geschützt (siehe hier). Die in den beiden Motionen vorgesehenen Verschärfungen könnten insbesondere im Asylbereich erhebliche Auswirkungen haben, da sie den Familiennachzug erschweren oder verzögern würden.
Willkürliche Altersgrenze steht im Widerspruch zur Kinderrechtskonvention
Eine feste Altersgrenze von 15 Jahren beim Familiennachzug widerspricht der UN-Kinderrechtskonvention (KRK), insbesondere dem Grundsatz des Kindeswohls (KRK, Art. 3). Die Konvention definiert eine Person bis zum 18. Lebensjahr als Kind (KRK, Art. 1), weshalb eine willkürliche Begrenzung auf 15 Jahre viele Kinder in einem besonders vulnerablen Alter ohne familiäre Unterstützung zurücklassen würde.
Artikel 10 der KRK verankert das Recht auf Familie. Die Schweiz hat dazu zwar 1997 einen Vorbehalt angemeldet, sich aber gleichzeitig verpflichtet, diesen so bald wie möglich auszuräumen. Gesetzesänderungen, die eine Verschärfung der Situation bedeuten, sind daher nicht zu rechtfertigen. Auch der Kinderrechtsaussschuss ermahnt die Schweiz, den Vorbehalt endlich aufzuheben.
Weiter betont der UN-Kinderrechtsausschuss, dass Trennungen von Eltern und Kindern nur in Ausnahmefällen und unter Berücksichtigung individueller Umstände erfolgen dürfen (Allgemeine Bemerkungen NR. 14). Eine fixe Altersgrenze verhindert diese Einzelfallprüfung und setzt Kinder ab 15 Jahren unverhältnismässigen Risiken aus, die ihre Entwicklung, Bildungschancen und psychische Gesundheit gefährden.
Familiennachzug muss das Wohl des Kindes berücksichtigen
Vertragsstaaten der Kinderrechtskonvention verpflichten sich mit der Ratifizierung dazu, das übergeordnete Interesse des Kindes vorrangig zu berücksichtigen (KRK, Art. 3). Dies gilt für alle Massnahmen, die Kinder betreffen, einschliesslich migrationspolitischer Entscheidungen. Der UN-Kinderrechtsausschuss betont in seinen Allgemeinen Bemerkungen (Nr. 6 & 14), dass das Kindeswohl insbesondere dann berücksichtigt werden muss, wenn Kinder aufgrund von Migration oder Flucht von ihren Eltern getrennt sind. Eine Einschränkung des Familiennachzugs ignoriert diesen Grundsatz.
Das Recht auf Familie ist völkerrechtlich anerkannt
Eine Einschränkung des Familiennachzugs widerspricht verschiedenen weiteren von der Schweiz ratifizierten Menschenrechtsverträgen. Das Recht auf Familienleben und auf dessen Schutz und Einheit ist völkerrechtlich anerkannt (KRK Art. 9; UNO-Pakt I Art. 10; UNO-Pakt II Art. 23; EMRK Art. 8). Aus kinderrechtlicher Sicht ist die Familie für die kindliche Entwicklung zentral. Daher sind Staaten verpflichtet sicherzustellen, dass Kinder nicht gegen ihren Willen von ihren Eltern getrennt sind (KRK, Art. 9).
Empfehlung an die nationalen Räte
Die Forderungen der zwei Motionen «von Dänemark und Schweden lernen. Familiennachzug auf die Interessen der Schweiz ausrichten» stehen nicht im Einklang mit den Kinderrechten und widersprechen völkerrechtlichen Bestimmungen. Aus diesem Grund empfiehlt UNICEF Schweiz und Liechtenstein den Mitgliedern des National- und Ständerates, die beiden Geschäfte abzulehnen.
Auch die UNO-Flüchtlingsorganisation, UNHCR, lehnt die Forderung ab, den Familiennachzug für vorläufig aufgenommene Personen und Flüchtlinge einzuschränken, wie es die Motionen 24.4320 und 24.4444 vorschlagen. Ihre ausführliche Argumentation finden Sie hier.