UNICEF Bericht über das Wohlbefinden von Kindern in 41 Industrieländern

Florenz / New York / Zürich, 14. April 2016. UNICEF veröffentlicht heute den Bericht «Fairness für Kinder» zum Wohlbefinden von Kindern in 41 OECD-Ländern. Er gibt Auskunft über die Faktoren von Ungleichheit, denen die am meisten benachteiligten Kinder verglichen zum Durchschnitt der Kinder ausgesetzt sind. Die Resultate sind ernüchternd: Die Einkommensschere ging seit 2010 in den meisten Ländern auf, den ärmsten Kindern geht es schlechter, Kinder aus armutsbetroffenen Familien ernähren sich weniger regelmässig und weniger gesund. Auch in der Schweiz steht es nicht überall zum Besten. Zwar hat sich die Zahl der armutsbetroffenen Kinder verringert. Der Schein aber trügt. Grund dafür sind Statistiken, die das wahre Ausmass verdecken.

Der Bericht «Fairness für Kinder» über das ungleiche Wohlbefinden von Kindern in 41 Ländern der Europäischen Union (EU) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt ernüchternde Resultate. Untersucht wurden Einkommensunterschiede, der Bildungserfolg sowie die Selbstwahrnehmung von Gesundheit und Zufriedenheit der Kinder. Dabei wurde der Fokus auf die Unterschiede zwischen den am meisten benachteiligten Kindern und dem Durchschnitt der Kinder in einem Land gerichtet. Mit anderen Worten, wie weit können die verletzlichsten Kinder zurückfallen und an Unterschieden leiden.

Die Ergebnisse sind vor allem für die verletzlichsten Kinder von grosser Tragweite: Die Einkommensschere ist seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise weiter aufgegangen. Familieneinkommen unter dem Durchschnittseinkommen wachsen langsamer verglichen zu jenen über dem Durchschnitt, was die Zunahme von Armut und materieller Entbehrung begünstigt. Die Unterschiede in der Gesundheit haben EU-weit und OECD-weit zugenommen. Während die selbstberichtete Zufriedenheit von Kindern insgesamt stabil ist, berichten Migrantenkinder über eine tiefere Zufriedenheit. Ungeachtet der Tatsache, dass für jedes Kind die gleichen Rechte gelten, beachten die Länder nicht, dass die verletzlichsten Kinder am meisten Schutz brauchen.

Und in der Schweiz...
Die Studie zeigt auf, dass die Zahl der armutsbetroffenen Kinder zwischen 2010 und 2013 von 10% auf 7% zurückgegangen ist. Die Schweiz befindet sich damit an 6. Stelle vor Grossbritannien und hinter der Tschechischen Republik. Ein an und für sich erfreuliches Resultat. Das Ergebnis beruht jedoch auf den Daten einer Haushaltsbefragung des Bundesamtes für Statistik. Haushaltsbefragungen haben den Nachteil, dass Haushalte mit sehr tiefen oder sehr hohen Einkommen untervertreten sind. Die Folge: Die am stärksten benachteiligten Kinder sind unterrepräsentiert. Gerade sie aber sind in höherem Masse von Ungleichheit betroffen. Eine Datenerhebung, die alle Gruppen von Kindern gleichermassen einschliesst, wäre für die Schweiz vordringlich, denn nur so können Massnahmen zur Verbesserung greifen. Kommt hinzu, dass verschiedene Länder Einkommensunterschiede mit Auswirkungen auf das Kind mit Sozialleistungen ausgleichen, auch die Schweiz. Der Schweiz gelingt dieser Ausgleich jedoch nur zu einem kleinen Teil. Mit 19% figuriert die Schweiz im unteren Mittel vor Estland und hinter Kroatien.

Sozioökonomischer Status entscheidet über Bildungserfolg
Bildung soll Chancenungleichheit vermeiden, so die allgemeine Erwartung. Der Bericht analysiert den Leistungsunterschied zwischen den leistungsschwächsten Kindern und denjenigen, die der Gruppe mit durchschnittlichen Leistungen angehören. Die Daten basieren auf der PISA-Studie. Die Schweiz befindet sich auf Platz 20 von 41 Plätzen, vor Österreich, nach Portugal. In der Schweiz entscheidet verglichen zu anderen Ländern in stärkerem Masse der sozioökonomische Status der Familie über den Bildungserfolg des Kindes. Die Gründe dafür sind vielfältig. Auffällig jedoch ist, dass in der Schweiz verglichen zu anderen Ländern weniger Kinder an Frühförderungs- oder Vorschulangeboten teilnehmen. Diese aber können die Startchancen insbesondere von benachteiligten Kindern ausgleichen und verbessern.

Kinder fühlen sich gesund
Kinder in der Schweiz fühlen sich gesund. Diese Aussage lässt die berichtete Selbstwahrnehmung der Kinder zu. Die Schweiz rangiert im Vergleich zu den anderen Ländern auf Platz 3 vor Norwegen und hinter Deutschland. Wie in anderen Ländern schneiden Kinder mit tiefem sozioökonomischen Status jedoch deutlich schlechter ab, wenn es um Bewegung und gesundes Essen geht. Dasselbe gilt für die wahrgenommene Zufriedenheit. Diese Kinder zeigen zudem eine höhere Bereitschaft zu risikoreichem oder gesundheitsschädlichem Verhalten wie etwa Drogenkonsum.

Das Wohlbefinden der Kinder ist gestaltbar
Der Bericht zeigt weiter, dass Ungleichheiten in Einkommen, Bildungserfolg, Gesundheit und Zufriedenheit ineinander greifen und sich gegenseitig verschärfen können. Er weist aber auch darauf hin, dass die Reduktion von Unterschieden, insbesondere bei den am stärksten benachteiligten Kindern, allen Kindern zugutekommt. Es erstaunt daher nicht, dass Länder mit kleineren sozialen Unterschieden generell weniger armutsbetroffene Kinder, weniger Unterschiede im Bildungserfolg, weniger Gesundheitsbeschwerden und gesamthaft eine höhere Lebenszufriedenheit ausweisen. Das Wohlbefinden der Kinder ist gestaltbar durch Politik und Gesellschaft. Dafür zu sorgen, dass es den verletzlichsten Kindern gut geht, sagt viel aus über das Wohlergehen eines Landes, denn es lässt nicht nur Rückschlüsse auf den gegenwärtigen Wohlstand zu, sondern erlaubt auch eine Prognose für die zukünftige Entwicklung.

Der Bericht über das Wohlbefinden von Kindern in 41 Industrieländern dokumentiert eindrücklich die Auswirkungen von Politikmassnahmen auf die Kinder. Eine gezielte Lenkung wirkt sich förderlich aus, eine Vernachlässigung der jüngsten Generation wirkt nicht nur auf das Heute, sondern auch auf die Zukunft. Einen Ausgleich für die Kinder zu schaffen, wirkt integrierend. Die Bildungschancen für die am meisten benachteiligten Kinder zu erhöhen, schafft bessere Voraussetzungen für alle und gesunde Kinder werden gesunde Erwachsene. In der Schweiz kann es gelingen. Voraussetzung dafür ist eine Datenlage, die alle Kinder gleichermassen einschliesst, als Grundlage für zielgerichtete Politikmassnahmen und die Schaffung von gleichen Bedingungen für alle Kinder in allen Kantonen.

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Charlotte Schweizer
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