Statement von UNICEF-Sprecherin Marixie Mercado beim Palais-Briefing in Genf
«Jetzt, wo UNICEF Gebiete in Tigray erreichen kann, die in den vergangenen Monaten aus Sicherheitsgründen unzugänglich waren, bestätigen sich unsere schlimmsten Befürchtungen hinsichtlich der Gesundheit und des Wohlergehens von Kindern in der Konfliktregion im Norden Äthiopiens.
UNICEF schätzt, dass in den nächsten 12 Monaten mehr als 100 000 Kinder in Tigray von lebensbedrohlicher schwerer akuter Mangelernährung betroffen sein könnten – damit verzehnfacht sich die Zahl der mangelernährten Kinder im Vergleich zum Jahresdurchschnitt.
Darüber hinaus sind laut den Datenerhebungen fast die Hälfte (47 Prozent) der schwangeren und stillenden Frauen akut mangelernährt. Das bedeutet, dass Mütter einem höheren Risiko von Komplikationen während der Schwangerschaft ausgesetzt sind. Dies erhöht das Risiko der Müttersterblichkeit und, dass Neugeborene mit einem zu niedrigen Geburtsgewicht zur Welt kommen und somit anfälliger dafür sind, zu erkranken und nicht zu überleben.
Die aktuellen Schätzungen beruhen auf Daten aus wöchentlichen Untersuchungen zur Messung des mittleren Oberarmumfangs (engl. Mid-Upper Arm Circumference), die UNICEF gemeinsam mit Partnern seit dem Ausbruch des Konflikts in der Region vor fast neun Monaten erhoben hat. Mehr als 435 000 Kinder wurden auf akute Mangelernährung untersucht.
Laut der Analyse sind schätzungsweise 2,3 Prozent der Kinder schwer mangelernährt, 15,6 Prozent leiden an moderater akuter Mangelernährung, was über der Notfallschwelle von 15 Prozent liegt. Die Daten zum Ernährungszustand von Müttern basieren auf Screenings, die zur gleichen Zeit durchgeführt wurden.
Die Ernährungskrise findet vor dem Hintergrund umfassender, systematischer Schäden an den Gesundheits-, Ernährungs-, Wasser- sowie Sanitärsystemen und –diensten statt, auf die Kinder und ihre Familien angewiesen sind, um zu überleben. Es drohen Krankheitsausbrüche, insbesondere in den überfüllten Unterkünften, in denen vertriebene Familien unter unhygienischen Bedingungen untergebracht sind.
Letzte Woche konnte ich Ernährungsscreenings in den Distrikten Wajirat und Gijet begleiten, zwei Gegenden, die während des Konflikts praktisch unzugänglich waren. Was ich sah, war ein Zusammenspiel von lebensbedrohlichen Bedingungen für Kinder: Es fehlt an therapeutischer Nahrung, die zur Behandlung schwerer, akuter Mangelernährung benötigt wird. Es gibt keine Antibiotika. Die Gesundheitseinrichtungen haben keinen Strom. Und Kinder sind seit Monaten nicht mehr geimpft worden.
Die jüngsten Gewaltausbrüche in den benachbarten Regionen Afar und Amhara, wo bereits fast 1,5 Millionen Menschen an akutem Hunger leiden, verschlimmern die Lage in ganz Nordäthiopien weiter. Zehntausende Menschen sind vertrieben worden. Lebensmittelvorräte wurden geplündert. Ohne ausreichende humanitäre Hilfe wird die Zahl mangelernährter Kinder noch weiter ansteigen und das Leben zahlreicher Menschen bedrohen. UNICEF sendet wichtige Hilfsgüter in die betroffenen Distrikte.
Wir brauchen dringend ungehinderten humanitären Zugang nach Tigray und in die gesamte Region, um Kindern und Frauen zu helfen. Aktuell haben wir in unseren Lagern in Tigray nur noch 6 900 Kartons mit lebensrettender therapeutischer Nahrung. Das reicht gerade aus, um 6 900 lebensbedrohlich mangelernährte Kindern zu behandeln.
Um der Katastrophe in den Bereichen Ernährung, Gesundheit, Wasser und Nahrungssicherheit entgegenzuwirken, ist eine massive Ausweitung der humanitären Hilfe erforderlich. Humanitäre Helfer und Helferinnen müssen ihre Arbeit ungehindert durchführen können. Dazu benötigen sie Zugang zu Treibstoff, Bargeld sowie Telekommunikationsverbindungen. Hilfslieferungen und finanzielle Transaktionen müssen durchgeführt werden können. Ansonsten könnte die humanitäre Hilfe zum Stillstand kommen.
UNICEF ruft alle Konfliktparteien dazu auf, ihrer grundlegenden Verpflichtung nachzukommen und Kinder zu schützen. Die dramatische Ernährungs- und Nahrungskrise in Tigray und den angrenzenden Regionen wird durch den bewaffneten Konflikt verursacht und kann nur von den Konfliktparteien gelöst werden.»