Alternativen zur Inhaftierung von Flüchtlingskindern im Kontext der Administrativhaft

Ein Policy Brief von UNICEF Schweiz und Liechtenstein. 

Anlässlich des Runden Tisches von UNICEF Schweiz und Liechtenstein kamen am 29. Januar 2019  in Bern Vertreter/-innen der Wissenschaft, der Kantone, des Bundes und verschiedener NGOs zusammen, um das Thema Administrativhaft von Flüchtlingskindern gemeinsam zu diskutieren. In diesem Rahmen informierte das Staatssekretariat für Migration (SEM), dass sich auf die Anordnung des Bundesrats eine Arbeitsgruppe bestehend aus Vertreter/-innen der Kantone und des SEMs zusammenfinden wird, um Alternativen zur Administrativhaft von Minderjährigen sowie Good Practice Beispiele  zu prüfen. Wir begrüssen diesen Schritt sehr. Da in der Arbeitsgruppe die Perspektive der NGOs jedoch nicht vertreten sein wird, möchten wir den Standpunkt von UNICEF Schweiz und Liechtenstein, der mit der Haltung von Terre des hommes und ihren Forschungsergebnissen übereinstimmt, auf schriftlichem Weg kundtun. Dieser Standpunkt ist durch die Diskussionen während des halbjährlich durchgeführten Runden Tisches zur Thematik «Flüchtlingskinder in der Schweiz» zudem breit abgestützt.

Administrativhaft von Minderjährigen im globalen Kontext

In über 100 Ländern weltweit werden Kinder ausschliesslich aufgrund des Migrationsstatus ihrer Familie inhaftiert. Dabei werden die Orte, an denen die Kinder festgehalten werden, nur selten als Haftanstalten bezeichnet, sondern als geschlossene Aufnahmezentren, halbgeschlossene Wohnanlagen oder sogenannte Hotspots bagatellisiert. Dies wird trotz der zunehmenden Evidenz praktiziert, dass eine Inhaftierung – wenn auch von kurzer Dauer und in modernen Anlagen – stark negative Auswirkungen auf die betroffenen Kinder und ihre Entwicklung haben kann. 

Administrativhaft von Minderjährigen in der Schweiz 

In der Schweiz ist die Administrativhaft von Kindern, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, gesetzlich erlaubt. Aber auch Fälle von Inhaftierungen jüngerer Kinder deckten die Statistiken von Terre des hommes und der GPK-N auf. Es gibt jedoch in einigen Kantonen erfolgsversprechende Praktiken, bei denen auf eine Inhaftierung Minderjähriger gänzlich verzichtet wird. Hierbei verweisen wir gerne auf die Studie von Terre des hommes,  die die Vorgehensweise dieser Kantone gut dokumentiert hat.  Es besteht aber nach wie vor Verbesserungsbedarf in der Schweiz. Es gilt eine systematische Prüfung des Kindswohls einzuführen, eine einwandfreie Datenerhebung zu gewährleisten und schlussendlich sowohl auf Administrativhaft von Flüchtlingskindern als auch auf die Trennung der Familien zu verzichten. Nur so können die UN-Konvention über die Rechte des Kindes (KRK) geachtet und negative Folgen fürs Kind verhindert werden. 

Administrativhaft im Kontext der Kinderrechtskonvention

Unabhängig vom Alter und vom Migrationsstatus ist eine Haftmassnahme nie mit dem Wohl des Kindes vereinbar und stellt eine Verletzung seiner Rechte dar, die in der – von der Schweiz 1997 ratifizierten – Kinderrechtskonvention festgehalten sind. Der Migrationsstatus allein kann zudem keinesfalls die Inhaftierung eines Kindes rechtfertigen, was auch im General Comment Nr. 6 des UN-Kinderrechtsausschusses so vermerkt wurde. Auch die Familieneinheit gewähren zu wollen, ist keine zulässige Begründung für eine Inhaftierung. Art. 22 der KRK verpflichtet die Vertragsstaaten ausserdem den Flüchtlingskindern und asylsuchenden Kindern – begleitet und unbegleitet – angemessenen Schutz und Hilfe zuteilwerden zu lassen.

Auswirkungen einer Inhaftierung

Die schädlichen Auswirkungen auf Kinder, die eine Inhaftierung mit sich bringen kann, gilt inzwischen als gut belegt und ist unbestritten. Unabhängig der Haftbedingungen und –dauer zeigen Studien, dass eine Inhaftierung negative Folgen für die Gesundheit und die Entwicklung des Kindes mit sich bringt. Die betroffenen Kinder laufen Gefahr, unter Depressionen und Angstzuständen zu leiden. Des Weiteren gibt es regelmässig Anzeichen von posttraumatischen Belastungsstörungen wie Schlafstörungen oder Alpträumen. Auch Schäden in der physischen und kognitiven Langzeitentwicklung können dadurch ausgelöst werden. 

Alternativen zur Haft

Um unbegleitete minderjährige Asylsuchende vor einer Inhaftierung zu bewahren, sollten sie bei Angehörigen, in einer Pflegefamilie oder in einer Betreuungseinrichtung für Kinder und Jugendliche untergebracht werden. Das Kind sollte denselben Schutz, dieselbe Betreuung und Unterstützung erhalten wie jedes andere Kind ohne elterliche Fürsorge. Investitionen in gut ausgebildete Beistandschaften und Pflegeunterbringungen kommen nicht nur unbegleiteten Flüchtlingskindern zugute, sondern stellt auch eine Pflicht im Sinne der KRK Art. 6 dar. 
Für begleitete Kinder existieren diverse gute Alternativen zur Inhaftierung. Diese wurden von Organisationen wie dem UNHCR oder der «International Detention Coalition» festgehalten und bereits in verschiedenen Settings in die Praxis umgesetzt.

  • Eine Möglichkeit ist die Platzierung der Familie in Gemeinschaftsunterkünften. Dabei steht die Familie je nach Situation unter Aufsicht, es können regelmässige Bericht-erstattungen verlangt oder zu bestimmten Zeitpunkten der Dokumentbearbeitung Hausarrest verhängt werden.
  • Die Familienmitglieder wohnen frei, müssen sich jedoch in bestimmten Abständen beim jeweilig zuständigen kantonalen Amt melden.
  • Personen oder Organisationen (z.B. Vertrauenspersonen, Sozialarbeiter/-innen oder eine NGO) sind für die Betreuung und Aufsicht verantwortlich. Sie kontrollieren die Familie mithilfe von Anwesenheitslisten. 

Unabhängig für welche Alternative ein Kanton sich entscheidet: enorm wichtig ist eine gute Einzelfallbearbeitung, gute Unterstützung der Familie und dass der Zugang zu Informationen – auch für die Kinder – ermöglicht wird. Dazu sollte unbedingt mit Akteuren wie Sozialarbeiter/-innen, NGO-Mitarbeiter/-innen und spezialisierten Mitarbeiter/-innen der Migrationsbehörden zusammengearbeitet werden. Die Familien aber auch die Kinder selbst benötigen klare, ehrliche Informationen über ihren Status und die Rückkehr in ihr Heimatland. Sie sollten in die Planung der Rückkehr, wenn immer möglich, eingebunden werden. 

Empfehlungen

Aufgrund dieser Ausgangslage und unter Einbezug der Ergebnisse der Studie von Terre des hommes möchten wir Sie  dringlichst bitten, folgende Empfehlungen in der Arbeitsgruppendiskussion zu berücksichtigen:

  • Es soll in den Aufbau und die Stärkung von Alternativen zur Inhaftierung minderjähriger Migranten/-innen investiert werden. Dies gilt für alle Kinder, auch die, die das 15. Lebensjahr bereits vollendet haben oder in Begleitung ihrer Eltern sind. Die Kantone sollen keine Administrativhaft von Minderjährigen mehr vornehmen und sich an den guten Praxisbeispielen der Kantone sowie an unseren empfohlenen Alternativen orientieren.
  • Der Zugang zu klaren, objektiven Informationen für Kinder und ihre Familien soll sichergestellt werden. Sie sollen über ihre Möglichkeiten und Rechte Bescheid wissen ebenso wie über die Unterstützungsangebote, die ihnen zur Verfügung gestellt werden. Begleitete Kinder müssen unabhängig ihrer Eltern adäquat informiert werden.
  • Das Datenerfassungssystem und die Qualität der Daten im Bereich der Administrativhaft müssen verbessert werden. Detaillierte und zuverlässige Daten, die transparent zugänglich gemacht werden, sind unabdingbar, um ein Monitoring sicherzustellen.