Zwischen 2016 und 2020 fanden pro Tag durchschnittlich 71 verifizierte schwere Verstösse gegen Kinder in Konfliktgebieten statt. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Dies offenbart ein neuer Bericht von UNICEF.
Die Vereinten Nationen haben zwischen 2005 und 2020 mehr als 266 000 schwere Kinderrechtsverletzungen durch Konfliktparteien in mehr als 30 Konfliktsituationen in Afrika, Asien, dem Nahen Osten und Lateinamerika offiziell verifiziert – so UNICEF. Die tatsächlichen Zahlen dürften u. a. aufgrund von Zugangs- und Sicherheitsbeschränkungen weit höher liegen. Hinzu kommt, dass die betroffenen Kinder und ihre Familien aus Scham, Verzweiflung und Angst nicht darüber sprechen.
Laut dem UNICEF-Bericht «25 years of children and armed conflict: Taking action to protect children in war» wurden zwischen 2005 und 2020 nachweislich mehr als 104 100 Kinder in bewaffneten Konflikten getötet oder verstümmelt; mehr als 93 000 Kinder wurden von Konfliktparteien rekrutiert und als Soldaten eingesetzt; mindestens 25 700 Kinder wurden von Konfliktparteien entführt; mindestens 14 200 Kinder und Jugendliche wurden vergewaltigt, zwangsverheiratet, sexuell ausgebeutet oder erlitten andere schwere Formen sexueller Gewalt. Seit 2005 haben die Vereinten Nationen mehr als 13 900 Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser verifiziert. In mindestens 14 900 Fällen wurde der Zugang zu humanitärer Hilfe für Kinder verweigert.
«Der Bericht zeigt in aller Deutlichkeit, dass es der Weltgemeinschaft nicht gelingt, Kinder in bewaffneten Konflikten vor schwerer Gewalt zu schützen», sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell. «Diese schweren Verstösse haben entsetzliche Auswirkungen auf das Leben von Kindern, ihrer Familien und ihrer Gemeinschaften – und sie zerreissen das Gefüge der Gesellschaft. Dies erschwert es, Frieden, Sicherheit und Stabilität wiederherzustellen und beizubehalten. Wir dürfen Kinderrechtsverletzungen nicht als unvermeidliche Folge von Kriegen hinnehmen.»
Grundlage des Berichts sind Daten, die in den vergangenen 16 Jahren im Bericht des UN-Generalsekretärs zu Kindern und bewaffneten Konflikten aufgeführt wurden. Er analysiert unter anderem, wie Informationen über dokumentierte Kinderrechtsverletzungen dazu beitragen können, betroffene Kinder zu unterstützen und wie die Zusammenarbeit mit Konfliktparteien – staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren gleichermassen – zur Beendigung und Verhinderung schwerer Verstösse gegen die Kinderrechte beiträgt.
Die jährliche Zahl der verifizierten Verstösse gegen die Kinderrechte ist seit 2005 stetig gestiegen und hat 2014 zum ersten Mal die Marke von 20 000 pro Jahr überschritten – 2020 wurden 26 425 schwere Verstösse verifiziert. Zwischen 2016 und 2020 wurden pro Tag durchschnittlich 71 schwere Verstösse gegen die Kinderrechte verifiziert.
Laut dem Bericht werden viele Kinder zum Opfer gleich mehrerer schwerer Verletzungen ihrer Rechte. Eine Entführung zum Beispiel ist häufig mit anderen Kinderrechtsverletzungen verbunden wie etwa der Rekrutierung und dem Einsatz als Soldaten sowie sexuelle Gewalt. Kinder – insbesondere Mädchen –, die entführt wurden und/oder einer Konfliktpartei angehören, sind einem erhöhten Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt, darunter Vergewaltigung, sexueller Ausbeutung und Zwangsheirat.
Schwere Kinderrechtsverletzungen werden sowohl von staatlichen als auch von nichtstaatlichen Akteuren begangen. Zwischen 2016 und 2020 waren staatliche Akteure – einschliesslich nationaler und internationaler Streitkräfte und Koalitionen – für mindestens 26 Prozent aller registrierten Verstösse verantwortlich. Im Vergleich dazu waren nichtstaatliche Akteure für etwa 58 Prozent aller verifizierten Verstösse verantwortlich. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, mit allen Konfliktparteien, einschliesslich nichtstaatlichen Akteuren, zusammenzuarbeiten, um Verstösse gegen Kinder zu beenden und zu verhindern.
Konfliktparteien, die im Jahresbericht des UN-Generalsekretärs über Kinder und bewaffnete Konflikte aufgeführt sind, entwickeln Aktionspläne mit spezifischen, konkreten und zeitlich festgelegten Schritten, um nachhaltige Massnahmen zum Schutz von Kindern vor den Auswirkungen von Konflikten zu ergreifen. Zwischen 2005 und 2021 wurden insgesamt 37 Aktionspläne von Konfliktparteien in 17 Konfliktsituationen unterzeichnet. Rund 70 Prozent der Aktionspläne wurden mit nichtstaatlichen Akteuren unterzeichnet, die restlichen 30 Prozent mit staatlichen Akteuren.
Die wachsende Zahl bewaffneter nichtstaatlicher Akteure, die Entwicklung und Anwendung neuer Methoden der Kriegsführung, der Einsatz von improvisierten explosiven Sprengkörpern und anderen explosiven Waffen, insbesondere in Wohngebieten, stellen nie dagewesene Herausforderungen für den Schutz von Kindern in Kriegsgebieten dar.