Nach Schätzungen von UNICEF waren Ende 2021 weltweit 36,5 Millionen Kinder durch Konflikte, Gewalt und andere Krisen aus ihrer Heimat vertrieben – die höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg. Diese Zahl umfasst 13,7 Millionen geflüchtete und asylsuchende Kinder und fast 22,8 Millionen Kinder, die aufgrund von Konflikten und Gewalt im Inland vertrieben wurden.
In diesen Zahlen nicht enthalten sind Kinder, die durch Klima- und Umweltzerstörung oder Katastrophen ihr Zuhause verlassen mussten. Auch die durch den Krieg in der Ukraine vertriebenen Kinder sind in der Schätzung noch nicht enthalten. Allein seit Februar dieses Jahres sind zwei Millionen ukrainische Kinder aus dem Land geflohen und drei Millionen Kinder sind innerhalb des Landes auf der Flucht.
Die dramatische Entwicklung ist Ergebnis sich gegenseitig verstärkender Krisen. Dazu gehören akute und langwierige Konflikte wie in Afghanistan, die Fragilität in Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo oder dem Jemen und der damit verbundenen Schocks. Verschärft werden sie zusätzlich durch die Auswirkungen des Klimawandels. So wie Instabilität breitet sich auch die Vertreibung von Kindern rasch aus. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der betroffenen Kinder weltweit um 2,2 Millionen gestiegen.
«Ich hoffe, dass diese alarmierende Zahl die Regierungen dazu bewegen wird, zu verhindern, dass Kinder überhaupt vertrieben werden – und wenn sie vertrieben sind, ihren Zugang zu Bildung, Schutz und anderen wichtigen Dienstleistungen sicherzustellen, die ihr Wohlergehen und ihre Entwicklung jetzt und in Zukunft unterstützen,» erklärte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell in New York.
Viele Kinder und Familien verlassen ihre Heimat auch aufgrund extremer Wetterereignisse wie der Dürre am Horn von Afrika und in der Sahelzone. Schwere Überschwemmungen haben im vergangenen Jahr in Bangladesch, Indien und Südafrika Familien aus ihren Häusern vertrieben. Im Jahr 2021 mussten 7,3 Millionen Kinder infolge von Naturkatastrophen ihr zu Hause verlassen.
Im vergangen Jahrzehnt hat sich die weltweite Population geflüchteter und vertriebener Menschen mehr als verdoppelt, fast die Hälfte davon sind Kinder. Mehr als ein Drittel der vertriebenen Kinder lebt in Afrika südlich der Sahara (3,9 Millionen oder 36 Prozent), ein Viertel in Europa und Zentralasien (2,6 Millionen oder 25 Prozent) und 13 Prozent (1,4 Millionen) im Nahen Osten und Nordafrika.
Gleichzeitig ist ihr Zugang zu grundlegender Unterstützung und Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Schutz unzureichend. Etwa zwei Drittel aller geflüchteten Kinder besuchen die Grundschule, während nur etwa ein Drittel der Jugendlichen eine weiterführende Schule besucht.
Entwurzelte Kinder – ob Geflüchtete, Asylsuchende oder Binnenvertriebene – können in ihrem Wohlergehen und ihrer Sicherheit stark gefährdet sein. Dies gilt insbesondere für die Hunderttausenden von unbegleiteten oder von ihren Angehörigen getrennten Kindern. Sie sind einem erhöhten Risiko durch Menschenhandel, Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch ausgesetzt. Kinder machen etwa 34 Prozent der weltweit festgestellten Opfer des Menschenhandels aus.
UNICEF fordert die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf, ihre Verpflichtungen für die Rechte aller entwurzelten Kinder einzuhalten, einschließlich der Verpflichtungen, die im Rahmen des Globalen Pakts für Geflüchtete (GCR) und des Globalen Pakts für Migration (GCM) eingegangen wurden. Sie müssen auch weiter in Daten und Forschung zu investieren, die das wahre Ausmaß der Probleme von geflüchteten, migrierten- und vertriebenen Kindern widerspiegeln.
UNICEF fordert die Regierungen auf, sechs Maßnahmen zu ergreifen, um gleiche Rechte und Chancen für alle geflüchteten, migrierten und vertriebenen Kinder zu erreichen:
- Gleiche Unterstützung für alle Kinder – egal woher sie kommen;
- Anerkennung von geflüchteten, migrierten und vertriebenen Kindern in erster Linie als Kinder – mit dem Recht auf Schutz, Entwicklung und Beteiligung;
- Verstärkte gemeinsame Anstrengungen, um allen entwurzelten Kindern und Familien unabhängig von ihrem Status einen effektiven Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen – einschließlich Gesundheitsversorgung und Bildung – zu gewährleisten;
- Schutz von geflüchteten, migrierten und vertriebenen Kindern vor Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit;
- Beendigung schädlicher Grenzschutzpraktiken und der Inhaftierung von Kindern bei der Einwanderung; und
- Befähigung von geflüchteten, zugewanderten und vertriebenen Jugendlichen, ihre Fähigkeiten zu entfalten und ihr Potenzial voll auszuschöpfen.