Finanzinstitutionen im Kampf gegen Kinderarbeit: Verantwortung und Handlungsoptionen

Weltweit sind nach wie vor 160 Millionen Kinder von Kinderarbeit betroffen. Der neue Leitfaden «Tackling Child Labor: A Guide for Financial Institutions» zeigt, wie Finanzinstitutionen durch gezielte Massnahmen zur Bekämpfung von Kinderarbeit beitragen können. Er hebt die Bedeutung umfassender Risikoindikatoren, besseres Engagement mit Portfoliounternehmen und die Teilnahme an Multi-Stakeholder-Initiativen hervor.

Kind in einer Höhle

Trotz jahrzehntelanger Bemühungen diverser Akteure sind weltweit immer noch
160 Millionen Kinder von Kinderarbeit betroffen. Die Mädchen und Buben arbeiten unter extrem belastenden Bedingungen, oft bis zur völligen Erschöpfung. Sie tragen schwere Kakaokörbe, sprühen Pestizide, nähen stundenlang in Textilfabriken, schlagen Steine oder arbeiten nachts. Einige dieser Kinder besuchen die Schule, doch viele sind von der harten Arbeit so erschöpft, dass sie dem Unterricht nicht folgen können.

Viele Unternehmen mit internationalen Lieferketten, zum Beispiel im Textil-, Bergbau oder Agrarbereich, sind sich der negativen Auswirkungen auf die Kinderrechte und den damit verbundenen Risiken für ihr Unternehmen bewusst und bearbeiten das Thema aktiv. Doch was ist aber die Rolle von Finanzinstitutionen im Kampf gegen Kinderarbeit? Und wie können sie die Ansätze ihrer Unternehmenskunden zur Bekämpfung von Kinderarbeit stärken?

Finanzinstitute haben einen bedeutenden Einfluss auf die Kinderrechte und somit auch auf die Bekämpfung der Kinderarbeit. Sie können die Praktiken der Unternehmen in der Realwirtschaft, in die sie investieren oder mit denen sie als Kreditgeber oder Versicherer zusammenarbeiten, beeinflussen und Druck auf sie ausüben. Zudem können sie die Rechte von Kindern im Rahmen ihrer eigenen Geschäftstätigkeit berücksichtigen.  

Der Leitfaden «Tackling Child Labor: A Guide for Financial Institutions», der im April 2024 von Shift, UNICEF und dem Centre for Child Rights and Business veröffentlicht wurde, beleuchtet diesen Zusammenhang ausführlich. Finanzinstituten wird darin empfohlen, ihren Einfluss auf ihre Kunden zum Wohle der Kinder zu nutzen: Es sollten nicht lediglich nur Vorschriften (Compliance) eingehalten werden, sondern vielmehr Massnahmen entwickelt und umgesetzt werden, die zur Achtung der Kinderrechte und zur Abschaffung der Kinderarbeit beitragen.

Konkret werden im Leitfaden drei Möglichkeiten hervorgehoben, wie Finanzinstitutionen ihre Sorgfaltspflichten in Bezug auf Kinderarbeit stärken und ihre derzeitigen Ansätze im Umgang mit dem Risiko der Kinderarbeit im Einklang mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verbessern können.  

  1. Verbesserung des Screenings auf Indikatoren für das Risiko von Kinderarbeit, indem umfassendere Indikatorensets verwendet und die Grundursachen von Kinderarbeit mitberücksichtigt werden (z.B. Fehlen von fairen Arbeitsbedingungen von Eltern und Jugendlichen, fehlende existenzsichernde Löhne für Arbeitnehmende, fehlende Gleichstellung der Geschlechter und fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten). 
     
  2. Besseres Engagement mit Portfoliounternehmen 
    Der Leitfaden schlägt Finanzinstituten vor, bessere und realistischere Sorgfaltsprüfungsfragen und Erwartungen an Portfoliounternehmen zu richten, wodurch ein besseres Verständnis der tatsächlichen Unternehmensrisiken sowie der Herangehensweise eines Unternehmens zur Risikobewältigung erlangt werden kann. Beispielsweise soll nicht gefragt werden «Haben Sie eine ‚Null-Toleranz‘-Politik gegenüber Kinderarbeit?» sondern, gerade in problematischen Sektoren, “Wann haben Sie das letzte Mal Kinderarbeit festgestellt? Was haben Sie getan?" 
     
  3. Die Teilnahme an Multi-Stakeholder-Initiativen, welche diverse Massnahmen zur Bekämpfung von Kinderarbeit beinhalten. Als Teilnehmende der Wertschöpfungskette, die über ihre Portfoliounternehmen mit diesen Auswirkungen verbunden sind, sollten die Finanzinstitute ihre eigene Beteiligung an einschlägigen Multistakeholder-Initiativen in Betracht ziehen, um sich gemeinsam mit anderen Akteuren gegen Kinderarbeit zu engagieren. Je nach Sektor bieten sich unterschiedliche Initiativen an, z.B. Financial Institution Task Force of the Responsible Sourcing of Palm Oils Round Table (RSPO) oder Kollaborationen im Kakaobereich. 


Gemäss den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und wie in der OECD-Due Diligence for Responsible Corporate Lending and Securities Underwriting erstreckt sich die Verantwortung von Finanzinstituten für die Achtung der Menschenrechte auch auf die Tätigkeiten und Wertschöpfungsketten ihrer Kundeschaft. Daher haben die meisten Finanzinstitute klare Richtlinien, in welche Unternehmen oder Sektoren sie investieren und an wen sie Kredite vergeben können. Viele Finanzinstitute verbieten zudem Geschäfte mit Kunden, bei denen ein hohes Risiko für Kinderarbeit besteht. 
Eine Null-Toleranz-Politikgegenüber Kinderarbeit kann jedoch, wie eine 2023 veröffentlichte Studie des Center for Child Rights and Business verdeutlicht, auch negative Auswirkungen auf die tatsächliche Situation vor Ort haben. Da Kinderarbeit in Hochrisikosektoren – etwa in der Landwirtschaft oder im Rohstoffabbau – oft endemisch ist, sollten Unternehmen eher dazu ermutigt werden, sich aktiv zu engagieren und über ihre Geschäftspraktiken eine Verbesserung herbeizuführen, anstatt die Zusammenarbeit mit risikobehafteten Partnern zu beenden.

Derzeit arbeiten UNICEF Schweiz und Liechtenstein und das UN Global Compact Netzwerk Schweiz und Liechtenstein (GCNSL) an einer Studie, über die Auswirkungen der Finanzindustrie in der Schweiz und Liechtenstein auf die Rechte von Kindern. Die Studie analysiert, wie Finanzinstitutionen ihre Produkte und Dienstleistungen im Hinblick auf Kinderrechte gestalten können, um negative Auswirkungen auf die Kinderrechte zu reduzieren und positive Auswirkungen zu verstärken, wenn sie mit ihren Kunden oder Investoren in der Realwirtschaft zusammenarbeiten. Basierend auf Desktop Recherchen und Interviews mit ausgewählten Finanzinstitutionen wird die Studie auch praxisorientierte Massnahmen und Empfehlungen vorstellen. Die Veröffentlichung ist für den Herbst 2024 geplant. 

Internationale Menschenrechts- und Arbeitsnormen definieren Kinderarbeit als Arbeit, die Kinder ihrer Kindheit, ihres Potenzials und ihrer Würde beraubt und die ihrer körperlichen oder geistigen Entwicklung schadet –  einschliesslich der Beeinträchtigung ihre Schul- und Ausbildung t. Nicht jede Tätigkeit, die von Kindern unter 18 Jahren ausgeübt wird, gilt als Kinderarbeit. So dürfen Kinder oft ab 13 Jahren (oder älter, je nach nationalen Gesetzen) leichte Arbeiten verrichten oder ab 15 Jahren (oder älter, je nach nationalen Gesetzen) Vollzeit arbeiten, solange die Tätigkeit nicht als gefährlich oder als eine der schlimmsten Formen von Kinderarbeit angesehen wird.