Der dreizehnjährige «Antony» beschreibt seine Zeit als Kindersoldat im Südsudan und erzählt von seiner Flucht aus dem Busch. Seine Geschichte steht exemplarisch für all die Kinder und Jugendlichen, die von bewaffneten Gruppen verschleppt und missbraucht werden. Wem die Flucht gelingt, kann diesen realen Alptraum zwar hinter sich lassen. Doch Reintegration benötigt viel Zeit und Geduld.
«Anthony» wurde als Elfjähriger beim Fussballspielen mit Freunden von einer bewaffneten Gruppe entführt und in den Busch gebracht. «Sie mischten uns mit den Erwachsenen, den Soldaten, die bereits dort waren», erzählt «Anthony» zwei Jahre nach seiner Flucht. «Das Leben im Busch war gefährlich. Ich nahm etwa an Hinterhalten teil und wurde auch Zeuge, wie Gefangene behandelt wurden. Sie nahmen drei Soldaten nach einem Angriff gefangen. Sie nagelten sie an einen Baum und schnitten sie dann mit einem Messer auf, bis sie starben. Danach wurden die Leichen verbrannt.»
Der Bub beschloss irgendwann zu fliehen. «Ich überlegte mir, dass hierfür nachts die beste Zeit wäre. «Normalerweise wasche ich nämlich nachts immer meine Kleidung am Fluss. Ich sammelte also meine Kleidungsstücke mitsamt der Uniform, steckte sie in eine Tasche und ging damit Richtung Fluss. Niemand schöpfte Verdacht. Man nahm wohl an, dass ich danach zurückkehren würde.»
Aber «Antony» kehrte nicht zurück. Stattdessen bewegte er sich entlang einer der Hauptstrassen. «Ich habe während meiner Flucht fest gelitten und schlief nur, wenn ich nicht mehr weiterkonnte, weil ich zu erschöpft war. Ich sehnte mich nach Essen, doch es gab nichts.» «Antony» hatte Angst, dass ihn die Soldaten verfolgen würden. Jedoch kam er sicher in Yambio an. «Ich war so erleichtert, denn ich habe nicht damit gerechnet, dass ich es schaffen würde.» «Antony» suchte Zuflucht beim Bischof. Dieser brachte ihn in das von UNICEF unterstützte Transitzentrum. «Dort konnte ich wieder spielen, etwa das Brettspiel Ludo und Domino oder Fussball. Nach dem Fussball bade ich, esse und schlafe. So verbrachte ich meine erste Zeit nach dem Buschleben,» erzählt der Dreizehnjährige. «Wenn ich erwachsen bin, möchte ich Bischof werden. Dann werde ich auch das Leben anderer Kinder retten, so wie ich gerettet wurde. Doch jetzt bin ich fürs Erste einfach nur froh, wieder in die Schule zu dürfen.»
Was Kinder am eigenen Leib erfahren, wenn sie als Kindersoldaten eingesetzt werden, entzieht sich jedglicher Vorstellungskraft.
Der Missbrauch von Kindern als Soldaten gehört mitunter zu den schlimmsten Verbrechen in bewaffneten Konflikten. Die Kinder werden in ihren Dörfern, auf Strassen und zum Teil auch in Schulen entführt, um in Konfliktregionen als Soldaten zu dienen. Kinder in jungem Alter können leicht eingeschüchtert, manipuliert und beeinflusst werden. Viele Buben werden mit Drogen, Gewalt und Terror zum Kämpfen, Foltern und Töten gedrillt und als Krieger abgerichtet. Mädchen werden entweder sexuell ausgebeutet oder werden zu Haushaltsarbeiten und zum Transport von Waffen und Gepäck gezwungen. Sie spielen aber auch als Kämpferinnen eine Rolle. Sie alle sind Opfer eines Krieges, den sie weder verstehen noch in irgendeiner Weise verantworten. Viele Kinder haben als Kämpfer das Töten gelernt, lesen und schreiben können sie dagegen nicht, denn zur Schule sind sie nie gegangen.
Freilassung von Kindersoldaten im Südsudan
Die Art der Kinderrechtsverletzungen macht es schwierig abzuschätzen, wie viele Kinder derzeit von Streitkräften und bewaffneten Gruppen eingesetzt werden und wurden, aber aufgrund der vielen Berichte, kann UNICEF sicher davon ausgehen, dass es allein im Südsudan Tausende sind. UNICEF geht davon aus, dass weltweit Zehntausende Kinder von bewaffneten Gruppen für ihre Zwecke missbraucht werden. Zwischen 2005 und 2022 wurden weltweit mehr als 105 000 Kinder nachweislich von Konfliktparteien rekrutiert und eingesetzt. Die tatsächliche Zahl der Fälle dürfte vermutlich viel höher sein.
Reintegration ist schwierig
Selbst wenn die Kinder aus der Armee entlassen wurden, leiden sie meist noch lange Zeit unter Alpträumen, Angstzuständen und Schlaflosigkeit. Sie finden nur langsam und schwer zurück in einen normalen Arbeitsalltag. Bei der Rückkehr in ihre Dörfer stellen sie oft fest, dass ihre Familien geflohen sind. Und in der Gesellschaft gelten sie vermehrt als Mörder und werden weder von Angehörigen noch Nachbarn zu Hause akzeptiert. Viele lassen sich aus Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Angst erneut rekrutieren oder landen auf der Strasse. Ein Teufelskreis!
UNICEF setzt sich weltweit dafür ein, die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern in Konfliktgebieten zu beenden und zu verhindern. Ausserdem betreut UNICEF ehemalige Kindersoldaten in Übergangsheimen und bietet den traumatisierten Kindern psycho-soziale und gesundheitliche Unterstützung an. Während ihres Aufenthaltes in den Zentren suchen UNICEF und lokale Partner zudem nach den Familien der Kinder. Wenn eine Rückführung nicht möglich ist, werden sie in kleinen Wohngruppen betreut. Um den Kindern den Weg zurück in einen normalen Alltag zu ermöglichen, können sie eigens errichtete Schulen besuchen, die auf die besonderen Bedürfnisse dieser Kinder abgestimmt sind. UNICEF bietet zudem Ausbildungsprogramme an und stellt ihnen nach Abschluss ein sogenanntes Starter-Kit, bspw. ein Handwerkerkoffer, zur Verfügung.
Auch im Südsudan setzt sich UNICEF unermüdlich bei der Regierung und den bewaffneten Gruppen dafür ein, die Kindersoldaten zurück in ein normales Leben zu führen.
Reintegrations-Programm im Südsudan
Seit 2013 hat UNICEF die Freilassung und Reintegration von 3 785 Kindern unterstützt, die mit bewaffneten Kräften und bewaffneten Gruppen im Südsudan in Verbindung standen. Unter dem Dach der Nationalen Kommission für Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der südsudanesischen Regierung werden freigelassene Kinder in von UNICEF und Partnern eingerichteten Übergangseinrichtungen aufgenommen, wo sie das Nötigste wie Kleidung, Nahrung und medizinische Versorgung erhalten. Nach der Registrierung beginnt UNICEF beginnt, ihre Familien ausfindig zu machen, um sie wenn möglich wieder zu vereinen. Die Kinder erhalten auch Beratung und andere psychosoziale Unterstützung sowie soziale und wirtschaftliche Wiedereingliederungspakete, wie Schulungen zu beruflichen und lebenspraktischen Fähigkeiten, damit sie sich ein Einkommen beschaffen können. UNICEF erstellt für jedes Kind einen dreijährigen, sektorübergreifenden Plan, um sicherzustellen, dass sie die notwendige Nachbetreuung und Unterstützung erhalten.
Josephine Bakhita ist Sozialarbeiterin in Yambio und arbeitet mit Kindern, die mit den Streitkräften und bewaffneten Gruppen in Verbindung stehen. Wenn sie über ihre Fälle spricht, nennt sie sie immer ihre Kinder, und wenn sie über sie sprechen, benutzen sie immer das Wort Mutter - ein Zeichen für ihre enge Beziehung.
Im Rahmen des von UNICEF unterstützten Wiedereingliederungsprogramms für Kinder, die mit bewaffneten Kräften und bewaffneten Gruppen in Verbindung stehen, wird den Kindern für die Dauer von drei Jahren ein eigener Sozialarbeiter zur Seite gestellt. Dies ist für den Erfolg des Programms und insbesondere für die psychische Gesundheit der Kinder von entscheidender Bedeutung.
12. Februar ist Welttag gegen den Einsatz von Kindersoldaten
Vor 20 Jahren, am 12. Februar 2002, trat das «Fakultativprotokoll zu dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes, betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten» in Kraft. Bis heute haben das Zusatzprotokoll 172 Staaten ratifiziert, darunter auch die Schweiz bereits am 26. Juli 2002.
Seitdem gilt die Rekrutierung von Kindern unter 15 Jahren als Kriegsverbrechen. Mädchen und Buben unter 18 Jahren dürfen nicht gegen ihren Willen eingezogen werden oder an Kampfhandlungen teilnehmen.
Durch das Fakultativprotokoll ist bereits viel passiert. Unter anderem wurden Verantwortliche erstmals vor dem Internationalen Strafgerichtshof für ihre Taten angeklagt.
Besonders viele Mädchen und Buben werden von verschiedenen Gruppen in andauernden Konflikten im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik, in der Demokratischen Republik Kongo, in Somalia, in Syrien und im Jemen für ihre Zwecke missbraucht. Aber auch in Afghanistan, Mali oder Myanmar werden Kinder als Soldaten oder als Helfer von bewaffneten Gruppen eingesetzt. Dennoch gibt es Fortschritte zu verzeichnen: Rund 155 000 ehemalige Kindersoldaten konnten in den vergangenen 25 Jahren befreit werden. Mindestens ein Duzend Regierungen und befwaffnee Gruppen haben Vereinbarungen mit der UNO erfüllt, um den Einsatz von Kindersoldaten zu beenden, darunter der Tschad, die Côte d'Ivoir, der Sudan oder Uganda.
Aktuelle Trends bei Kindersoldaten
Trotz Fortschritte in verschiedenen Ländern ist ein besorgniserregender Anstieg der Kinderrekrutierungen in der Zentralafrikanischen Republik, der Demokratischen Republik Kongo, im Irak, in Nigeria, Somalia und in Syrien zu beobachten. Die Verwundbarkeit der von Konflikten betroffenen Kinder wurde durch die Covid-19 Pandemie nochmals erhöht. Prognosen gehen davon aus, dass Verstösse gegen die Rekrutierung von Kindersoldaten weltweit wieder zunehmen werden.
Mit 8 521 Fällen waren 2020 die Rekrutierung oder der Einsatz von Kindersoldaten die häufigste schwere Kinderrechtsverletzung. 85 Prozent der Kindersoldaten waren Buben. Besonders schreckliche Auswirkungen auf Kinder hatten 2020 die Konflikte in Afghanistan, Jemen, der Demokratischen Republik Kongo, Somalia und Syrien. Die meisten verifizierten Fälle des Missbrauchs von Kindern als Soldaten wurden in Somalia (1 716), Syrien (813), Myanmar (790), DR Kongo (788), Zentralafrikanische Republik (584), Mali (284), Afghanistan (196), Jemen (163), Kolumbien (116) und Südsudan (62) dokumentiert.