Humanitäre Bargeldtransfers: würdevoll & wirksam

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Luisa Ancona

In Zeiten von ständig wachsenden und eskalierenden Krisen und Notsituationen ist schnelle Hilfe entscheidend, um Leid zu lindern. Eine Methode, die sich als besonders wirksam erwiesen hat, sind humanitäre Bargeldtransfers – eine direkte Form der Unterstützung für diejenigen Familien und Kinder, die sie am dringendsten benötigen.

Afghanistan cash hands
Eine Frau erhält Bargeld im Rahmen eines von UNICEF durchgeführten Programms in der Provinz Badghis, Afghanistan, 2022.

Warum Bargeldtransfers?

Die Auswirkungen von Katastrophen und anderen Notsituationen, wie Konflikte und Kriege, hinterlassen oft tiefe Spuren der Verzweiflung für die Betroffenen. Deshalb ist es entscheidend, diesen Menschen schnelle, flexible und vor allem würdevolle Unterstützung zukommen zu lassen. Die Form der Unterstützung spielt hierbei eine entscheidende Rolle.

Im Gegensatz zu herkömmlicher Unterstützung, die oftmals aus Sachgütern besteht und in vorgefertigten, standardisierten Paketen bereitgestellt wird, ermöglicht Bargeld den Empfängerinnen und Empfängern ihre dringendsten Bedürfnisse eigenständig und individuell zu decken. Hierbei kann es sich, je nach Bedarf, um den Kauf von Nahrungsmitteln, Wasser oder Kleidung handeln. Ebenso können Mieten bezahlt werden oder die Kosten für Schulbildung oder medizinische Versorgung der Kinder abgedeckt werden.

UNICEF setzt auf humanitäre Bargeldtransfers, um bestehende Programm-Aktivitäten und Dienstleistungen zu ergänzen. Dies gewährleistet, dass sämtliche Bedürfnisse der Kinder in allen Einsatzbereichen von UNICEF umfassend erfüllt werden können.

Der entscheidende Aspekt hierbei ist, dass die Betroffenen so nicht nur materielle Hilfe erhalten, sondern die Individualität jeder Person oder Familie und ihre eigenen Prioritäten und Wünsche respektiert werden. Bargeldtransfers geben den Empfängerinnen und Empfänger Würde und Kontrolle zurück, gerade in Situationen, in denen diese oft schwindet. Mit Bargeld können die Betroffenen sich und ihre Kinder selbst versorgen, anstatt versorgt zu werden. Dadurch werden ihre Selbstbestimmung und Eigenverantwortung gestärkt – ein essenzieller Schritt zur Überwindung von Traumata.

Gull, 35, recipient of cash transfers in Afghanistan

«Dieses Geld bedeutet für mich, dass meine drei Töchter und ich im kommenden Winter ein warmes Zelt und genug Essen haben werden»

Gull, 35, Empfängerin von Bargeldtransfers in Afghanistan

Heutzutage sind Bargeldtransfers ein fester Bestandteil der meisten humanitären Organisationen. Bargeldtransfers…

  • … werden von Familien in Not bevorzugt, wie zahlreiche Studien belegen
  • … ermöglichen Familien in Notsituationen ihre individuellen Grundbedürfnisse zu decken und Zugang zu wichtigen Gütern und Dienstleistungen zu erhalten
  • rücken die Bedürfnisse und den tatsächlichen Bedarf der Familien und Kinder klar in den Fokus der humanitären Unterstützung
  • … wahren in Krisensituationen die Würde und Selbstbestimmung der Betroffenen
  • … geben den Familien die Freiheit, selbst zu entscheiden, was sie und ihre Kinder am dringendsten benötigen und respektieren ihre Entscheidungen
  • … sind flexibel einsetzbar und können das Wohlbefinden von Kindern auf vielfältige Weise verbessern
  • … ermöglichen eine rasche Umsetzung und sind unter bestimmten Bedingungen effektiver und kostengünstiger als die Bereitstellung von Hilfsgütern, die erst in die Region transportiert werden müssen – so können mehr Kinder schneller erreicht werden
  • … dienen im Vergleich zur einmaligen Bereitstellung von Sachgütern, als Mittel zur nachhaltigen Stärkung der lokalen Märkte und Wirtschaft

Humanitäre Organisationen und die Wissenschaft sind sich einig darüber, wie wichtig und unverzichtbar Bargeldtransfers als Form der humanitären Unterstützung sind. In den letzten Jahren haben humanitäre Organisationen den Einsatz deutlich ausgeweitet, und es wird erwartet, dass dieser Trend sich fortsetzt. Bargeldtransfers gelten als einer der bedeutendsten Fortschritte in der humanitären Hilfe. Im Jahr 2022 wurden weltweit etwa 17% der humanitären Hilfe in Form von Bargeldtransfers bereitgestellt, was etwa 8,1 Milliarden US-Dollar entspricht [1].

Bargeldtransfers sind keine neuen Massnahmen innerhalb UNICEFs humanitärer Unterstützung. Bereits seit vielen Jahren sind sie ein wichtiges und vielfältig eingesetztes Instrument als Reaktion auf Konflikte, Katastrophen und andere Notlagen. UNICEF ist eine der führenden Organisationen und betrachtet Bargeldtransfers als eine der vorrangigen Optionen bei der Prüfung von Unterstützungsmassnahmen. Auch UNICEF hat den Einsatz von humanitären Bargeldtransfers in den letzten Jahren erheblich verstärkt. Im Jahr 2022 erreichte UNICEF rund 2,8 Millionen Haushalte in 43 Ländern und zahlte damit insgesamt 725 Millionen US-Dollar direkt an die betroffenen Haushalte aus[2]. Damit soll ein möglichst autonomes Leben der betroffenen Familien geschaffen werden.

1 State of the World’s Cash Report 2023: https://www.calpnetwork.org/collection/the-state-of-the-worlds-cash-2023-report/

2 UNICEF, Cash transfers explained: https://www.unicef.org/emergencies/humanitarian-cash-transfers-explained

Siddig Ibrahim hält ein Keynote-Speech beim UNICEF-Jubiläumsprogramm zum 65. Jahrestag im Oromo Cultural Center

«Bargeldtransfers stellen eine äusserst effiziente Methode dar, mit der UNICEF Familien und Kindern die Möglichkeit bietet, ihre dringendsten Bedürfnisse mit Würde und Flexibilität zu erfüllen.»

Siddig Ibrahim, UNICEF’s Chief of Field Office in Herat, Afghanistan

Wie funktionieren Bargeldtransfers und wer erhält sie?

Humanitäre Bargeldtransfers sind ein äusserst wirksames Mittel zur Bereitstellung humanitärer Unterstützung für Einzelpersonen und Haushalte, und können von den Empfängerinnen und Empfänger uneingeschränkt verwendet werden. Die Zahlungen können entweder als einmalige Auszahlung oder in Form von regelmässigen oder monatlichen Auszahlungen bereitgestellt werden. Diese können über verschiedene Kanäle erfolgen, zum Beispiel in Form von Bargeld, über Bankkonten, Postämter oder auch per Mobiltelefon.

Die Entscheidung darüber, wer Bargeldtransfers erhält und wie viel, ist ein entscheidender Schritt bei der Gestaltung dieser Programme, die auf die spezifischen Gegebenheiten der Situation und des Landes abgestimmt sind. Zur Identifikation der Personen und Familien, die am dringendsten Unterstützung benötigen, werden verschiedene Kriterien herangezogen. UNICEF richtet gemäss Mandat, die Bargeldtransfers in der Regel an Familien mit Kindern und Babys, schwangere und stillende Mütter, sowie an Familien mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen. Nach Abschluss der Programme wird evaluiert, ob der bereitgestellte Betrag ausreichend war und wie die Familien die Mittel verwendet haben.

Syrien: Bargeldtransfers als lebensrettende Unterstützung in der Winterzeit

Als Maysaa und ihre Kinder nach vier Jahren in ihr Haus in Tal Az-Zarazir, Aleppo, zurückkehrten, fanden sie es zerstört und leer vor. Damals mussten sie ihr Zuhause verlassen, da der Krieg in Syrien auch ihre Nachbarschaft erreichte. Der Grossteil ihres Ersparten wurde für Reparatur und neue Möbel aufgewendet. Der Tod ihres Mannes vor einigen Jahren, zusammen mit dem Verlust seiner Rente und nur geringer staatlichen Unterstützung, macht es für Maysaa schwierig, ihre Familie über Wasser zu halten.

Die UNICEF Winterhilfe in Syrien bietet bedingungslose Bargeldtransfers für Familien mit Kindern an. Mit dieser Hilfe können diese notwendigen Dinge kaufen, die sie für die Winterzeit benötigen. Die registrierten Familien erhalten jeweils drei Bargeldauszahlungen. Zudem unterstützen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter die Familien und Kinder dabei, Zugang zu wichtigen Dienstleistungen zu erhalten.

Maysaa: «Die finanziellen Belastungen sind sehr hoch, zumal die Preise für lebenswichtige Güter wie Lebensmittel und Brennstoff gestiegen sind. Ohne die Bargeldtransfers wären wir nicht in der Lage gewesen, den kommenden Winter zu überstehen». Mit der ersten Auszahlung kaufte Maysaa Winterkleidung für ihre Kinder. Nun möchte sie die zweite Zahlung für Heizmaterial während des Winters verwenden.

Radwan (9) hält seinen neuen warmen Pullover, den seine Mutter Maysaa mithilfe der Zahlungen von UNICEF für ihn gekauft hat.
Radwan (9) hält seinen neuen warmen Pullover, den seine Mutter Maysaa mithilfe der Zahlungen von UNICEF für ihn gekauft hat.
Yasmin Hulou, UNICEF-Mitarbeiterin, unterhält sich mit Radwan (9) und seiner Schwester Rimas (5) bei einem Besuch in ihrem Haus in Aleppo.
Yasmin Hulou, UNICEF-Mitarbeiterin, unterhält sich mit Radwan (9) und seiner Schwester Rimas (5) bei einem Besuch in ihrem Haus in Aleppo.
Radwan (9) macht sich zu Hause im Viertel Tal Az-Zarazir in Aleppo, Syrien, an seine Hausaufgaben. Er wünscht sich von seiner Mutter eine Schreibtafel, die er zum Lernen benutzen kann.
Radwan (9) macht sich zu Hause im Viertel Tal Az-Zarazir in Aleppo, Syrien, an seine Hausaufgaben. Er wünscht sich von seiner Mutter eine Schreibtafel, die er zum Lernen benutzen kann.

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