Die Bevölkerung in Ostafrika erlebt derzeit die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Die sich anbahnende fünfte Trockenperiode in Folge hat dazu geführt, dass grosse Teile des Viehbestands und der Ernten vernichtet sind und Wasserquellen versiegen. Äthiopien, Somalia und der der Norden Kenias sind einer klimabedingten Katastrophe ausgesetzt, die die Existenz von 20 Millionen Menschen drastisch gefährdet – unter ihnen kämpft die junge Mutter Eshe um das Überleben ihrer Kinder.
Kilometerweit kein Wasser
Die Wasserknappheit treibt mehr als 8,5 Millionen Menschen – darunter 4,2 Millionen Kinder – in Ostafrika an den Rand ihrer Existenz. Ohne Wasser können keine Feldfrüchte wachsen und Vieh verendet. Auf der Suche nach nahrhaften Lebensmitteln und Trinkwasser sind Menschen deshalb dazu gezwungen, ihre Häuser zu verlassen: mehr als 1,5 Millionen Menschen befinden sich aufgrund der andauernden Dürreperiode in Ostafrika derzeit auf der Flucht. Unter ihnen Eshe und ihre Kinder. Auch sie mussten weite Strecken zurückzulegen, um ihr Überleben zu sichern.
Nach einem langen Fussmarsch erreichen sie das Binnenvertriebenenlager Hargle in Äthiopien. «Wir sind hierhergekommen, um nach Nahrung und Wasser zu suchen. Der Regen bleibt schon lange aus, unsere Tiere sind alle verendet. Wir können sie weder verkaufen noch essen», erzählt die junge Mutter. Gesamte Gemeinden in Ostafrika werden an den Rand ihrer Existenz gedrängt. Nicht nur in Hargle, sondern auch im Binnenvertriebenenlager Dubluk leben tausende Menschen unter katastrophalen Bedingungen.
Besonders für Frauen und ihre Kinder birgt das Leben weit weg von ihrem Zuhause zusätzliche Risiken, denn in Notunterkünften sie sind häufig mit Gefahren wie Gewalt oder Missbrauch konfrontiert. Des Weiteren sind Frauen und Kinder primär für das Sammeln von Trinkwasser zuständig. Aufgrund der ausgetrockneten Böden werden ihre Wege zunehmend länger, sie finden sich oft in unsicheren Gegenden, weit weg von Zuhause, wieder. Sie sind gezwungen, auf der Suche nach Wasser und auch Nahrung kilometerweit zu laufen, was nebst den Gefahren auch Erschöpfung und Dehydrierung zur Folge haben kann. Aufgrund von mangelndem Trinkwasser bleibt ihnen oft keine andere Wahl, als aus verunreinigten Wasserquellen zu trinken. Auch die zehnjährige Hibo aus Somalia musste aufgrund der extremen Dürre flüchten. «Wir haben unser Haus in Guriel verlassen und sind zehn Tage gelaufen, um das Lager Kaharey zu erreichen», sagt sie. Im Binnenvertriebenenlager hat sie nun endlich Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Der kleine Abdusemed Mohammed trinkt im provisorischen Notlager in Äthiopien ebenfalls endlich wieder reines Wasser. Seine Mutter Eshe ist dennoch besorgt um die Gesundheit ihrer Kinder und deren Zukunft. Wie lange der sichere Zugang zu Trinkwasser anhält, ist ungewiss. Mangelnder Zugang zu sauberem Wasser gefährdet die Überlebenschancen von Kindern drastisch. Wasserknappheit erhöht das Risiko von Durchfallerkrankungen – eine der häufigsten Todesursachen bei Kindern unter fünf Jahren – und kann Krankheiten wie Cholera hervorrufen.
Hunger und Durst gehen Hand in Hand
Die Ernährungssituation wird zunehmend katastrophal, Mangelernährungsraten steigen allarmierend an. Insbesondere in Äthiopien, Kenia und Somalia benötigen mehr als 1,8 Millionen Kinder dringend eine Behandlung wegen lebensbedrohlicher, schwerer akuter Mangelernährung. Eshes vierjährige Tochter Nura ist eines davon. Insgesamt sind in Ostafrika 16 Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen – dennoch wird im Moment in keinem der Länder offiziell eine Hungersnot ausgerufen.
Doch was bedeutet der Begriff Hungersnot genau?
Im alltäglichen Sprachgebrauch sprechen wir schnell von einer Hungersnot, wenn in einem Land grosse Nahrungsmittelknappheit herrscht und unzählige Menschen keinen Zugang zu Nahrung haben. Offiziell rufen die Vereinten Nationen oder die jeweilige Regierung eines Landes den Notstand erst dann aus, wenn gewisse Kriterien auf die Ernährungssituation vor Ort zutreffen.
Grundlage hierfür ist die Einschätzung einer internationalen Arbeitsgruppe nach den sogenannten «IPC-Phasen», eine Abkürzung für «Integrated Food Security Phase Classification». Auf dieser Skala für Ernährungssicherheit werden fünf Stufen unterschieden, die von Phase eins «Minimal» über «Strapaziert» (Stressed), «Krise» (Crisis), «Notsituation» (Emergency) bis hin zu Phase fünf «Hungersnot» (Famine) reichen.
Die Hungersnot gilt somit als folgenschwere Notsituation im Bereich Ernährung und unterliegt folgenden Kriterien:
- in mindestens jedem fünften Haushalt innerhalb der Region fehlen nahezu vollständig Lebensmittel und / oder andere lebenswichtige Nahrungsmittel wie Trinkwasser
- zahlreiche Menschen hungern, sind mangelernährt und sterben an den Folgen der Mangelernährung (mindestens zwei Menschen pro 10.000 Einwohner jeden Tag)
- insgesamt mehr als 30 Prozent der Kinder unter fünf Jahren müssen an akuter Mangelernährung leiden
Doch auch ohne das offizielle Ausrufen einer Hungersnot sind viele Kinder in grosser Gefahr. Besonders akut ist die Ernährungsunsicherheit wie in Äthiopien: rund 17 Millionen Menschen wissen nicht, wann sie ihre nächste Mahlzeit zu sich nehmen können. Alleine in Tigray sind mehr als 13 Prozent aller Kinder unterernährt – genauso wie rund die Hälfte aller Schwangeren und stillenden Frauen.
Auch Eshe Omer ist im fünften Monat mit ihrem dritten Kind schwanger und sorgt sich um dessen Gesundheitszustand. Nicht selten sterben Frauen bei der Geburt oder bringen ihre Kinder viel zu klein und schwach auf die Welt. Die körperliche und seelische Entwicklung der Kinder leidet häufig langfristige Schäden, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Um Frauen wie Eshe und Kinder Familie bestmöglich zu unterstützen, arbeitet UNICEF mit lokalen Partnern zusammen. Im Binnenvertriebenenlager Hargle etwa stellt der «OWS Development Fund» gemeinsam mit UNICEF lebensrettende Gesundheits- und Ernährungsdienste für die von der Dürre betroffenen Gebiete zur Verfügung. Die Familien werden vor Ort medizinisch untersucht und mit Notfallkeksen sowie therapeutischer Nahrung aus Schilfrohr versorgt.
Der Klimawandel bleibt
Der Klimawandel führt zu unvorhersehbaren Temperatur- und Niederschlagsschwankungen, die sowohl in ihrer Häufigkeit als auch in ihrer Intensität zunehmen dürften. UNICEF leistet in Ostafrika deshalb lebenswichtige Hilfe für Kinder und ihre Familien. Besonders in den Bereichen Gesundheit, Ernährung, Impfungen, Bildung, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sowie dem Schutz von Kindern und Frauen vor der Gefahr von Gewalt und Missbrauch werden rettende Massnahmen eingeleitet. Wiederkehrende Dürren und zunehmende Wasserunsicherheit erfordern jedoch langfristige Investitionen in Wasser-, Sanitär- und Hygienedienste, Wassermanagement und klimasichere Infrastruktur. UNICEF arbeitet an der Umsetzung dieser Lösungen, um die Sicherheit der Wasserversorgung zu jeder Zeit für alle Betroffenen zu gewährleisten.