Der Hunger und die anhaltende Dürre im Südwesten Somalias zwingt unzählige Familien zur Flucht in die städtischen Zentren, auf der verzweifelten Suche nach Nahrung und einer Unterkunft. Die Reise ist lang und beschwerlich, und für einige ist es bereits zu spät. Ein Erlebnisbericht von Robin Giri, UNICEF Mitarbeiter, Baidoa/Somalia, am 29. September 2022.
Hagarka Vertriebenen-Camp in Baidoa – «Ich konnte nichts mehr für meinen Sohn Salat tun. Er war schon auf der Reise hierher sehr krank», sagt Fatuma Mohamed Omar, den Blick auf ihren jüngsten Sohn Bille gerichtet. Sie schiebt den neun Monate alten Jungen auf ihren Knien hin und her und schaut uns dann direkt in die Augen. «Er ist gestorben, weil er Hunger hatte, weil wir nicht genug zu essen hatten.»
Fatuma und ihre fünf Kinder, darunter der 10-jährige Salat, haben ihr Dorf in Malagda vor genau drei Wochen verlassen. Sie liefen drei Tage lang durch die trostlose Landschaft. Auch die letzte Regenzeit blieb aus, die Ernten wurde dabei vernichtet, der Viehbestand dezimiert. Als sie schliesslich Baidoa erreichten, bekamen sie einen Platz im Hagarka-Lager für Binnenvertriebene, das mit Hunderten von Familien überfüllt ist – eines von vielen Lagern entlang der zerfurchten Strasse, die in die Stadt Dinsoor führt.
«Salat ist am nächsten Tag gestorben», sagt sie und streichelt mit ihren Händen den Kopf des kleinen Bille. «Ich kann nicht um ihn trauern, denn ich muss Essen für meine anderen Kinder finden», sagt sie und blickt auf die drei Kinder, die neben ihr auf dem Boden sitzen.
Der elfjährige Dahir, ihr ältester Junge, starrt auf seine Füsse. Seine beiden jüngeren Schwestern Mariam, 6, und Milian, 4, schauen weg, ihre unschuldigen, kleinen Gesichter sind verzerrt durch all die Verwirrungen der vergangenen Wochen und Monate und durch das hoffnungslose Schweigen der Geflüchteten im Camp. Die Kinder sind gedanklich weit weg und doch verbunden durch den Faden des gemeinsamen Verlustes in der Familie.
Inzwischen steht fest, dass Salat an den Komplikationen einer schweren akuten Mangelernährung gestorben ist, einer Erkrankung, die durch Nahrungsmangel verursacht wird und bei der der Körper so schwach und ausgezehrt wird, dass jede gewöhnliche Krankheit tödlich sein kann.
Dies ist eine Tragödie. Doch Fatuma und ihre Kinder sind nur eine von einer Million Familien in Somalia, die dieser giftigen Mischung aus klimabedingter Katastrophe und jahrzehntelangem Konflikt, ausgesetzt sind.
Nach Angaben der Vereinten Nationen befinden sich mehr als sieben Millionen Menschen in Somalia in akuter Ernährungsunsicherheit. Und UNICEF schätzt, dass in diesem Jahr eine halbe Million Kinder an schwerer akuter Mangelernährung leiden werden.
«Für all unsere Nachbarn ist es dasselbe – unsere Tiere sterben, die Brunnen trocknen aus und wir haben keine andere Wahl, als hierher zu kommen und nach Nahrung zu suchen», sagt Fatuma. «Die Dürre vor ein paar Jahren war schon schlimm, aber wenigstens haben unserer Tiere überlebt und wir hatten etwas zum Leben – aber nun haben wir alles verloren.»
Baidoa hat sich zu einem der wichtigsten Zentren für Binnenvertriebene aus der Südwestregion entwickelt, und nach Angaben der lokalen Partner kommen täglich mindestens 100 Personen in den mehr als 400 Lagern für Binnenvertriebene an. Alle humanitären Organisationen, darunter UNICEF und andere UN-Organisationen, arbeiten mit erhöhter Dringlichkeit daran, die drohende Hungersnot abzuwenden.
UNICEF und seine Partner statten Gesundheits- und Ernährungszentren mit therapeutischen Nahrungsmitteln und Medikamenten aus, um Unterernährung vorzubeugen und häufige Krankheiten zu behandeln; sie verstärken den Nottransport von sauberem Trinkwasser; sie führen Impfkampagnen und Ernährungsuntersuchungen bei Kindern in den Lagern durch und führen ein neues Programm für Bildung in Notfällen ein, um Kindern einen Raum zum Lernen zu bieten.
UNICEF arbeitet auch daran, Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt zu verhindern und Kinder vor Missbrauch und Schaden zu schützen, indem eine 24/7-Hotline eingerichtet wird. Dazu gehört auch ein Überweisungs- und Behandlungszentrum für Opfer im «Ceebla One Stop Centre» des Bay Regionalspitals.
Der Hunger und seine Folgen lässt die Zahl der Todesopfer täglich steigen. Die lokalen Partner warnen davor, dass mehr getan werden muss und dass mehr Ressourcen benötigt werden, um eine Katastrophe zu verhindern. Die Frauen und Kinder sind müde vom langen Fussmarsch zu diesem eigenartig anmutenden Ort, der mit orangefarbenen und weissen Zelten übersät ist, wo sie sich unter einer Plane und mit Schnüren und Zweigen ein neues Zuhause bauen werden; einst stolze Menschen, die gezwungen sind, auf Almosen zu warten, nur um zu überleben.
Wir folgen Fatuma, ihre dünnen Gummisandalen wirbeln kleine Staubwolken auf. Am Rand des Lagers hält sie an und bleibt vor einem umgestürzten Erdhügel stehen. Dieser ist von einigen toten Kakteen und leeren Plastiktüten übersät, die am Rande des immer grösser werdenden Lagers herumliegen. Hier hat sie ihren Sohn begraben. «Er war ein guter Junge, mein Sohn, ich wünschte, er hätte nicht sterben müssen.»