Flüchtlinge privat unterbringen - das gilt es zu beachten

Nicole Hinder
Nicole Hinder

Die Betroffenheit in der Schweizer Bevölkerung über die Situation in der Ukraine ist gross. Viele wollen nicht nur Geld spenden, sondern auch praktische Hilfe leisten und Flüchtlinge bei sich aufnehmen. Dabei gilt es aber einiges zu beachten – insbesondere wenn Kinder involviert sind. 

© UNICEF/UN0607408/Modola

Aktuell reisen vorwiegend Frauen und ihre Kinder aus der Ukraine in die Schweiz ein. Sie gelten als besonders verletzlich. Ihre sichere Unterbringung braucht unsere volle Aufmerksamkeit. Wenn man sich den Herausforderungen bewusst ist und sich entsprechend darauf vorbereitet, ist ein Angebot zur privaten Unterbringung sehr wertvoll. Denn so kann Menschen in Not unbürokratisch und wirksam geholfen werden.

Verfügbarkeit

Stellen Sie sich im Vorfeld die Frage, wie lange Sie Ihren privaten Wohnraum zur Verfügung stellen können.

Damit die Geflüchteten ankommen können, braucht es Sicherheit und ein stabiles Umfeld. Viele Geflüchtete werden mittel- und langfristig Klarheit in Bezug auf ihre Unterbringung benötigen. Stellen Sie sich entsprechend darauf ein, insbesondere wenn Kinder und Jugendliche bei Ihnen untergebracht werden. Mit dem Schutzstatus S können Kinder und Jugendliche umgehend eingeschult werden. Werden Kinder in Ihren Wohnräumen platziert die bereits eine Aussicht auf eine Einschulung haben, sollte Ihr Angebot möglichst langfristig angelegt sein, damit weitere Umplatzierungen und Abbrüche in der Integration und Schulwechsel vermieden werden. Dies schliesst jedoch nicht aus, dass die Vereinbarung beendet werden kann, wenn sie für beide Seiten nicht mehr gut funktioniert. 

© UNICEF/UN0605554/Remp

Kennenlernen

Nehmen Sie sich Zeit für ein gegenseitiges Kennenlernen und lassen Sie die Option zu, dass es nicht im ersten Anlauf klappt.

Sie bringen fremde Menschen privat unter und kreieren so unter Umständen eine Wohngemeinschaft. Das kann besondere Herausforderungen mit sich bringen. In einem ersten Moment geht es dabei schlicht um die «Chemie» zwischen Ihnen und den Geflüchteten. Das ist ganz normal. Ein entscheidender Faktor ist die Wahlfreiheit aller Beteiligten, denn für gegenseitige Sympathie gibt es keine Gewähr. Wie bei Wohngemeinschaften oder einer Vermietung von Wohnräumen üblich, sollten beide Seiten sich frei füreinander entscheiden können. Bestehen Sie daher auf ein Kennenlernen, bevor Sie der Unterbringung zustimmen. Und kommunizieren Sie gegenüber den Geflüchteten, dass beide Seiten «Nein» sagen dürfen. Auch beteiligte Kinder sollen ermuntert werden, sich ein Bild zu machen und bei der Entscheidung zu partizipieren.

Bedürfnisse

Werden Sie sich klar darüber, was Sie anbieten können und wollen. Die Geflüchteten sind auf der Suche nach einem sicheren Ort zu leben und nicht nach einer Ersatzfamilie.

Machen Sie sich im Vorfeld Gedanken dazu, was Ihre eigenen Erwartungen sind. Die Geflüchteten haben unter Umständen andere Bedürfnisse. Die Familien wurden durch den Krieg zum Teil auseinandergerissen. Die Zurückgelassenen fehlen. Ebenso mussten das Zuhause, Erinnerungsstücke und Hab und Gut dagelassen werden. Der Krieg, die Angst um die Angehörigen und die Verluste sind belastend und können traumatisierend sein. Nicht jede und jeder sucht ein neues Zuhause. Und auch keine neue Familie. Viele wollen so schnell wie möglich zurück in ihr angestammtes Leben und Wohnumfeld. Sie halten an diesem Gedanken und an dieser Hoffnung fest. Das kann bedeuten, dass sich diese Personen nicht einfach auf diese neuen Lebensumstände einlassen können. Sind Sie sich bewusst, dass die Kinder und ihre Begleitpersonen ein grosses Bedürfnis nach einem sicheren Rückzugsort, nach Sicherheit oder nach der Gemeinschaft mit anderen Menschen aus der eigenen Community haben – und nicht in erster Linie die Gesellschaft einer Wohngemeinschaft mit fremden Leuten suchen.  
Womöglich möchten sich die Geflüchteten erkenntlich zeigen für die Hilfe. Sie fühlen sich vielleicht auch schuldig, dass sie auf Unterstützung angewiesen sind ohne eine Gegenleistung erbringen zu können. Diese Situation sollte nicht ausgenutzt werden. Binden Sie die Gäste ein, auch in Hausarbeiten. Aber in einem vertretbaren Masse. Sie stellen Ihren Wohnraum freiwillig zur Verfügung. Erwarten Sie dafür keine Gegenleistung. Stattdessen kann Ihre Unterstützung bei der Suche nach einer regulären Arbeit zielführender sein. Denn es wird der grosse Wunsch bestehen, so schnell wie möglich auf eigenen Beinen zu stehen und zu arbeiten.

© UNICEF/UN0601050/Doychinov/AFP

Privatsphäre

Schaffen Sie Rückzugsräume, damit die Geflüchteten einen eigenen Alltag entwickeln können.

Die Geflüchteten sollen die Möglichkeit haben, sich zurückzuziehen. Dazu braucht es ein abgegrenztes und abschliessbares Zimmer. Idealerweise besteht ein Zugang zu eigenen sanitären Anlagen, die abschliessbar sind. 
Kinder und ihre Bezugspersonen sind in Kriegen und auf der Flucht besonders verletzlich und sind sehr belastet. Das Zusammenwohnen bei gemeinschaftlicher Nutzung von Küche, Bad etc. mit Fremden sollte vermieden werden. Ist das nicht möglich, so sollte ihnen die Gelegenheit gegeben werden, den Alltag selbstständig zu organisieren und bei Bedarf unter sich zu sein. Wenn das nicht über separate sanitäre Anlagen oder eine Kochnische möglich ist, empfiehlt es sich, Zeiten zu vereinbaren, in denen die Küche oder das Bad selbstständig genutzt werden können. Wichtig ist es, dass Sie diese Punkte offen ansprechen und gemeinsam eine Vereinbarung finden.

Gesundheit

Schaffen Sie den Zugang zu Hilfsangeboten, damit die Geflüchteten das Erlebte verarbeiten können.

Die Kinder und ihre Bezugspersonen haben unter Umständen Traumatisches erlebt (Informationsbroschüre zu traumatisierten geflüchteten Kindern und Jugendlichen). Achten Sie sich im Alltag darauf und holen Sie sich und den Betroffenen Hilfe. Vielleicht gibt es Angebote wie Jugendberatungen, schulpsychologische Dienste, Elternberatungen oder Seelsorge vor Ort, die den Geflüchteten Raum für Gespräche anbieten und entsprechend geschult sind, um Belastungen und Trauma zu erkennen und entsprechende Massnahmen einzuleiten. Es ist nicht Ihre Aufgabe, die Erlebnisse mit den Geflüchteten aufzuarbeiten. Das muss jemand mit einer professionellen Ausbildung tun. Vielleicht können Sie aber dabei behilflich sein, dass sie professionelle Hilfe bekommen. Informieren Sie sich dazu über ihre Gemeinde oder den Kanton. Hier finden Sie die wichtigsten nationalen Anlaufstellen zum Thema psychische Gesundheit. Das Schweizerische Rote Kreuz betreibt zudem ein Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer.

Fragen Sie nach, ob die Geflüchteten die Gelegenheit hatten, einen Arzt zu besuchen. Falls möglich, unterstützen Sie sie dabei. Wichtig ist es, diesbezüglich Kontakt mit den zuständigen Stellen in der Gemeinde aufzunehmen, um die Finanzierung zu klären.

Zeit

Verbringen Sie gemeinsam Zeit, planen Sie die Aktivitäten - aber miteinander.

Es ist begrüssenswert, wenn Sie Zeit einplanen, um den Geflüchteten im Alltag zu helfen und sie zu unterstützen. Stellen Sie sich als Ansprechperson zur Verfügung und begleiten Sie die Geflüchteten bei Behördengängen. Auch im Bereich Freizeitgestaltung kann Ihre Hilfe wertvoll sein. Kinder sollten die Möglichkeit erhalten, mit anderen Kindern in Kontakt zu kommen und an hiesigen Freizeitaktivitäten teilzunehmen, wenn sie das wollen. Dabei gilt es, Kinder und Jugendliche sowie deren Familien, wenn immer möglich, in Entscheidungsprozesse und Planungen einzubinden, damit auf ihre individuellen Bedürfnisse eingegangen werden kann. Anstatt beispielsweise einen Tagesausflug ohne deren Zustimmung zu planen, unbedingt ihre Bedürfnisse abfragen und sie mitentscheiden lassen, was ihnen besonders gefallen und guttun würde. Akzeptieren Sie aber auch, wenn eher der Bedarf nach Rückzug besteht. 

© UNICEF/UN0599591/Moldov

Integration

Schaffen Sie Zugänge zu lokalen Aktivitäten.

Wichtig ist die lokale Vernetzung vor Ort, damit Unterstützung, Aktivitäten und Ideen für die Geflüchteten gebündelt, strukturiert und koordiniert wirken können. Idealerweise baut entweder die Gemeinde selbst oder eine zivilgesellschaftliche Gruppe dieses Netzwerk auf und übernimmt auch dessen Betreuung. Falls es an Ihrem Wohnort noch keine solche Gruppe gibt: Suchen Sie weitere Personen, die helfen möchten, und melden Sie Ihren Kontakt der Gemeindeverwaltung. Wichtig ist, dass das soziale Engagement im Vordergrund steht. Es wird nicht von Ihnen erwartet, dass Sie die Familie finanziell unterstützen, auch nicht bei der Ausbildung oder der Gesundheitsversorgung. Diese werden nach Absprache über kantonale oder kommunale Stellen gewährleistet. 

Der Krieg – ein Tabuthema?

Sprechen Sie mit den Geflüchteten über den Krieg, respektieren Sie aber auch, wenn das zu belastend ist und nicht gewünscht wird.

Sie werden sich bestimmt fragen, ob und wie man mit den Geflüchteten über den Krieg sprechen soll. Das Erlebte beschäftigt und ist ein ständiger Begleiter. Wir dürfen das Ausmass des Traumas, das sie möglicherweise erlebt haben, nicht unterschätzen. Wie weit darf man gehen, wie proaktiv dieses Thema aufgreifen? Zur Orientierung empfehlen wir den Blogbeitrag «9 Tipps wie Sie mit Kindern über Krieg und Konflikte sprechen können». Die Tipps ermöglichen, das Thema anzusprechen ohne dabei aufdringlich zu wirken und haben auch gegenüber Erwachsenen ihre Gültigkeit. Geben Sie dem Thema Raum, pushen Sie aber das Gespräch nicht. Jede und jeder geht anders damit um. Das gilt es zu respektieren.

Bleiben Sie dran. 
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