Der Einfluss von Covid-19 auf die Säuglingssterblichkeitsrate

Saskia Kobelt
Saskia Kobelt

Die von UNICEF geleitete Interagency Group on Child Mortality Estimation (IGCME) der UNO untersucht derzeit die Auswirkungen von Covid-19 auf die Kinder- und Jugendsterblichkeit und wird diese Auswirkungen gegebenenfalls in künftige Schätzungen einbeziehen. Dennoch zeichnen sich bereits weitreichende Auswirkungen auf die Säuglingssterblichkeitsrate aufgrund der Covid-19-Pandemie ab. 

© UNICEF/UNI347480/Poveda
Venezuela, Juni 2020

Während das Ausmass und die Schwere der Säuglingssterblichkeit aufgrund der direkten Auswirkungen von Covid-19 noch weitgehend unbekannt sind, birgt die Pandemie das Potenzial eine Säuglingssterblichkeitskrise auszulösen. Sie droht Jahrzehnte bemerkenswerter Verbesserungen zunichte zu machen: Aufgrund weltweiter Anstrengungen konnte die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren von 1990 bis 2019 nämlich um fast 60% gesenkt werden. Vor dreissig Jahren starben noch 12,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren, 2019 waren es 5,2 Millionen. Dennoch bestehen regionale grosse Unterschiede fort: In Subsahara-Afrika beispielsweise, starb im Jahr 2019 jedes dreizehnte Kind bevor es das fünfte Lebensjahr erreichte (eine Rate, welche weltweit vor über 20 Jahren überwunden wurde). Davon starben gar 47% im ersten Monat nach der Geburt. 

Die indirekten Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, die sich aus überlasteten Gesundheitssystemen, dem Einkommensverlust der Haushalte und der Unterbrechung der routinemässigen Pflege- und Präventivmassnahmen – insbesondere lebensnotwendiger Impfungen – zusammensetzen, treffen Säuglinge unverhältnismässig stark. Gleichzeitig verschärft die Covid-19-Pandemie bestehende Ungleichheiten weiter. In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, sowie in von Krisen und Konflikten betroffenen Regionen, werden sich die indirekten Auswirkungen der Pandemie besonders abzeichnen.

Erfahrungen mit vergangenen Epidemien wie dem westafrikanischen Ebola und SARS im Jahr 2014 haben gezeigt, dass die indirekten Auswirkungen eines Ausbruchs für Säuglinge schwerwiegend sein können und manchmal die direkten Auswirkungen des Ausbruchs selbst übertreffen. Darüber hinaus sind viele dieser indirekten Effekte möglicherweise erst einige Zeit nach dem Abklingen der Covid-19-Pandemie erkennbar und können sogar noch für einen längeren Zeitraum nach der Pandemie nachwirken. In Teilen Westafrikas beispielsweise, haben die Maserntodesfälle bei Kindern nach dem Ebola-Ausbruch dramatisch zugenommen, da die Impfungen inmitten der Epidemie eingeschränkt wurden. Aufgrund der Covid-19-Pandemie mussten in mindestens 68 Ländern die Immunisierungskampagnen gestoppt werden. Über 80 Millionen Kinder unter einem Jahr sind der Gefahr ausgesetzt, an durch Impfstoffe vermeidbaren Krankheiten zu erkranken.

Die Verbesserung der Überlebenschancen für Säuglinge hängt von der kontinuierlichen Bereitstellung grundlegender Gesundheitsdienste für Frauen und Säuglinge auf der ganzen Welt ab. Während das volle Ausmass der Auswirkungen von Covid-19 auf die Wirtschaft, die Mobilität und die Gesundheit von Kindern noch unbekannt ist, könnten bei der Unterbrechung der lebensrettenden Interventionen viel mehr Kinder an behandelbaren und vermeidbaren Krankheiten sterben. 

Dies ist ein Aufruf, nicht nur in Frauen und Kinder zu investieren, indem weiterhin kritische Dienste und Lieferungen bereitgestellt werden, sondern auch die Faktengrundlage für eine fundierte und informierte Entscheidungsfindung zu schaffen.

UNICEF setzt alles daran, dass jedes Neugeborene einen sicheren Start ins Leben bekommt.


Zusatzinformation:

Die Johns Hopkins Universität hat eine Studie veröffentlicht, in welcher sie die potentielle Sterblichkeitsrate von unter Fünfjährigen in Bezugnahme von Covid-19 mittels drei eventuell möglichen Szenarien berechnet haben, indem sie die Versorgung von grundlegenden lebensrettenden Interventionen in unterschiedlichem Ausmass (10-50%) reduzierten und für verschiedene Laufzeiten (3,6,12 Monate) aufgestellt haben. Bereits bei einem halbjährigen Unterbruch von diesen grundlegenden lebensrettenden Interventionen bei Säuglingen und Kinder unter fünf Jahren (Vorgeburtliche Pflege, Geburtenhilfe, Impfungen etc.) könnten über 1 Million zusätzlich aufgrund der Unterbrechung sterben.


Quellen: 

UN Inter-Agency Group on Child Mortality Estimation: Child Mortality Report 2020, publ. September 2020.

UNICEF Data: Child Mortality and Covid-19, Juli 2020.

Timothy Roberton, Emily D Carter, et al.: Early estimates of the indirect effects of the COVID-19 pandemic on maternal and child mortality in low-income and middle-income countries: a modelling study, Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health, 12. Mai 2020.