Zu Beginn der Corona-Pandemie schlossen weltweit fast alle Schulen. Dabei zeigte sich, dass die Schule viel mehr als ein Ort des Lernens ist. Für Millionen von Kindern hatte die Schliessung verheerende körperliche wie auch psychische Folgen, denn die Schule bedeutet für viele Schülerinnen und Schüler Zugang zu Wissen, Sicherheit, Nahrung und Gesundheitsversorgung. Die Krise endet für die Kinder auch nicht mit der Wiedereröffnung der Schulen. Umso wichtiger ist eine sukzessive und vom Kind aus gedachte Planung des Übergangs von zuhause zurück in die gewohnte Unterrichtsform.
Bedeutung der Schulen für die Kinder - ein Weitblick
Hierzulande sind die Schulen für die Förderung und Bildung der Kinder und Jugendlichen zuständig, darüber hinaus auch als Unterstützerin und Dreh- und Angelpunkt der Familien sehr wertvoll. Dank dem obligatorischen und demnach regelmässigen Besuch der Schulen hat man eine Sicht auf das Wohlbefinden der Kinder. Sie ist automatisch auch eine wichtige soziale Kontrolle für den Schutz vor häuslicher Gewalt, Ausbeutung oder Missbrauch.
In anderen Ländern und Kulturen spielen noch weitere Aspekte in die Schulen rein. In vielen, armutsbetroffenen Ländern ist die Aussicht auf eine Mahlzeit Grund genug, dass Eltern beispielsweise ihre Töchter in die Schule schicken und ihnen erlauben, den schweren häuslichen Pflichten oder einer möglichen Kinderehe zu entkommen. Neben der Bereitstellung von Essen profitieren viele Kinder auch von medizinischen Leistungen, wie z.B. Impfungen und Entwurmungen, welche oft nur von den Schulen angeboten und durchgeführt werden und aufgrund der Schliessung nun weggefallen sind. Schule sind Lernorte, Schutzorte, soziale Institutionen, Überprüfungsmechanismen und Grundversorger. Dementsprechend wichtig ist die Wiedereröffnung für viele Kinder.
«Für Millionen von Kindern ist das Essen, das sie in der Schule erhalten, die einzige Mahlzeit des Tages. Ohne diese Mahlzeit würden sie hungern, Erkrankungen und Schulabbrüche riskieren sowie ihre einzige Chance verlieren, der Armut zu entkommen.»
Der richtige Zeitpunkt für eine Wiedereröffnung – eine Gratwanderung
Natürlich nimmt die Wiedereröffnung der Schulen bezüglich der Umsetzung der Kinderrechtskonvention eine besondere Stellung ein, trotzdem sind nach wie vor wichtige Gesundheitsaspekte dem gegenüber zu stellen. Wann genau die Schulen wiedereröffnet werden sollten, ist eine der zentralen Fragen im Kampf gegen die Pandemie. Je länger die Schulen geschlossen bleiben, desto grösser sind der Bildungsverlust sowie die damit verbundenen gesundheitlichen und sozialen Risiken, insbesondere für die schutzbedürftigsten und vulnerabelsten Kinder. Suzanne Grant Lewis, Direktorin des Internationalen Instituts für Erziehungsplanung der UNESCO, betont in diesem Zusammenhang die absolute Priorität des Wohlergehens und des Schutzes von Kindern, was der schulische Rahmen in gewisser Form gewährleisten kann und heisst eine baldige Wiedereröffnung für unabdingbar. Die Entscheidung, wann eine Schule wiedereröffnet werden kann und soll, hängt dabei stark von den Möglichkeiten des lokalen Schulsystems ab, das Recht auf Bildung aufrechtzuerhalten und wichtige Leistungen wie Schutz und Gesundheit zu gewährleisten. Dabei muss stets die Systembereitschaft, die mögliche Kontinuität des Lernens und die Tragfähigkeit des Bildungssystems auf die Waagschale gelegt werde. Auch dem soziokulturellen und ökonomischen Kontext muss Rechnung getragen werden. Nicht zuletzt soll das Kind ins Zentrum der Entscheidung gerückt werden, denn in der Lebenswelt des Kindes ist die Schule zentral.
Erkenntnisse von früheren Gesundheitskrisen nutzen
Viele Länder haben Erfahrung im Umgang mit Gesundheitsepidemien und mussten sich bereits mit Strategien und Massnahmen im Kampf gegen ähnliche Krisen national auseinandersetzen. So kann sich zum Beispiel Sierra Leone auf die Erfahrungen zur Zeit der Ebola-Krise stützen. Dank der damals breiten sozialen Mobilisierung und des Engagements von führenden Gemeinschaftsvertretern sowie der verstärkten Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und anderen Partnern konnten die Eltern von der Sicherheit überzeugt werden, ihre Kinder wieder in die Schule zu schicken. Diese Massnahmen verhalfen dazu, die Anzahl von Schulabbrüchen landesweit zu verringern. Was sich durch vorangegangene Krisen vor allem gezeigt hat, ist die Notwendigkeit, so früh wie möglich mit der Vorbereitung der Wiedereröffnung zu beginnen. Dazu braucht es eine transparente Kommunikation und Kooperation zwischen den verschiedenen Entscheidungsträgerinnen und -trägern und es benötigt die Bereitschaft von Schulen, Lernstrategien und -programme dahingehend anzupassen, dass individuelle Betreuungsformen und Begleitung verstärkt möglich sind und auf Bedürfnisse der Kinder gezielter eingegangen werden kann. Andererseits braucht es klare pädagogische Konzepte und Vorgehensweisen, um erreichte Fortschritte zu beurteilen, Lernverluste zu erkennen und Förderkurse zu organisieren sowie die Bereitschaft des sozialen Umfeldes, die Kinder zur Wiederaufnahme des gewohnten Schulunterrichts zu motivieren und entsprechend zu unterstützen .
«Ein Lockdown und die nun anstehenden Wiedereröffnungen haben einschneidende Konsequenzen auf das Leben und die Psyche der Menschen. Das muss auch in den Schulen mitberücksichtigt werden und die Kinder müssen an der Hand genommen werden.»
Der Weg zurück hierzulande
Die geplante Wiedereröffnung von Primar- und Sekundarschulen am 11. Mai muss entsprechend als eine komplexe und sensible Angelegenheit verstanden werden. Eine Herausforderung für alle beteiligten Parteien. Dies bedeutet, dass der Unterricht nicht einfach dort weitergeführt werden kann, wo vor der Schulschliessung aufgehört wurde. Denn das Schulwesen sieht sich mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert, die als direkte und indirekte Folgen der Schulschliessung zu verstehen sind. Zu den Herausforderungen gehören unter anderem neue oder verstärkte soziale Ungleichheiten, die Aufarbeitung des schulischen Zeitplans sowie die Gewährleistung von Schutzmassnahmen vor Ort. Zudem muss das Schweizer Bildungssystem auf die gesundheitlichen Auswirkungen, mental wie auch körperlich, als Folge der Schulschliessung vorbereitet sein und den vulnerablen und marginalisierten Kindern, die vermehrt den Risiken für Gewalt, Ausbeutung und Vernachlässigung ausgesetzt sind, besondere Beachtung schenken. Die Schulen werden entsprechend dazu aufgefordert, Schülergruppen mit besonderem Bedarf adäquat zu unterstützen, das Bildungscurriculum fair und zielorientiert zu gestalten, die vorgeschriebenen Hygienemassnahmen möglichst effizient umzusetzen und weiterhin «social distancing» zu betreiben. Dazu benötigt es konkrete Schutzkonzepte und breit abgedeckte Betreuungsformen, im schulischen wie auch im ausserschulischen Kontext. Das vom Bund festgelegte Schutzkonzept muss nun von den Kantonen, Gemeinden und Schulen entsprechend umgesetzt und auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder, Lehrer- und Elternschaft adjustiert werden. Dies bedingt eine kindsgerechte Präventions- und Aufklärungsarbeit.
So hilft UNICEF Schweiz und Liechtenstein
UNICEF Schweiz und Liechtenstein setzt sich dafür ein, dass Kinder auch nach der Wiedereröffnung der Schule zur Zeit der COVID-19 Pandemie bestmöglich geschützt werden. Folgende Unterlagen sollen Entscheidungsträger darin unterstützen, was bei der Wiedereröffnung von Schulen beachtet und welche Strategien umgesetzt werden sollen.
- Hilfestellung von UNESCO für Entscheidungsträger, wie die Wiedereröffnung von Schulen geplant werden soll, sind hier aufgelistet. (Englische Version)
- Praktische Tipps und Kernfragen von UNESCO, die Bildungsministerien bei der Wiedereröffnung von Schulen beachten sollen, sind hier aufgelistet. (Englische Version)
- Eine schriftliche Zusammenstellung des von der UNESCO organisierten Webseminars zum Thema «Vorbereitung und Planung der Wiedereröffnung» ist hier abrufbar. (Englische Version)
- Das Schutzkonzept zur Wiedereröffnung der Primar- und Sekundarschulen ist hier abrufbar.