Covid-19 ist die «grösste globale Krise für Kinder in unserer 75-jährigen Geschichte»

Covid-19 hat Kinder in einem noch nie dagewesenen Ausmass betroffen und ist damit die schlimmste Krise für Kinder, die UNICEF in seiner 75-jährigen Geschichte erlebt hat. Die Pandemie macht praktisch alle Fortschritte für Kinder zunichte und stürzt 100 Millionen Kinder mehr in die Armut, teilt UNICEF in einem heute veröffentlichten Bericht mit.

© UNICEF/UNI240410/Frank Dejongh

Der Bericht «Preventing a lost decade: Urgent action to reverse the devastating impact of Covid-19 on children and young people» (Verhinderung eines verlorenen Jahrzehnts: Dringende Massnahmen zur Umkehrung der verheerenden Auswirkungen von Covid-19 auf Kinder und Jugendliche) zeigt auf, wie Covid-19 die jahrzehntelangen Fortschritte bei den wichtigsten Herausforderungen für Kinder wie Armut, Gesundheit, Zugang zu Bildung, Ernährung, Kinderschutz und psychisches Wohlbefinden gefährdet. Der Bericht warnt davor, dass sich die weitreichenden Auswirkungen von Covid-19 auch fast zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie weiter verstärken, die Armut vergrössern, die Ungleichheit verschärfen und die Rechte der Kinder in bisher unbekanntem Ausmass bedrohen.

Errungenschaften in Gefahr

«Im Laufe unserer Geschichte hat UNICEF dazu beigetragen, ein gesünderes und sichereres Umfeld für Kinder auf der ganzen Welt zu schaffen, mit grossen Erfolgen für Millionen Menschen», sagt UNICEF-Exekutivdirektorin Henrietta Fore. «Diese Errungenschaften sind nun in Gefahr. Die Covid-19-Pandemie ist die grösste Bedrohung für den Fortschritt für Kinder in unserer 75-jährigen Geschichte. Während die Zahl der Kinder, die hungern, nicht in die Schule gehen, missbraucht werden, in Armut leben oder zwangsverheiratet werden, steigt, sinkt die Zahl jener Kinder, die Zugang zu medizinischer Versorgung, Impfstoffen, ausreichender Nahrung und wichtigen Dienstleistungen haben. In einem Jahr, in dem wir eigentlich nach vorne schauen sollten, machen wir einen Rückschritt.»

Dem Bericht zufolge gibt es schätzungsweise 100 Millionen zusätzliche Kinder, die aufgrund der Pandemie in mehrdimensionaler Armut leben. Das entspricht einem Anstieg von rund 8 Prozent seit 2019 bzw. etwa 1,8 Kindern pro Sekunde seit Mitte März 2020. Darüber hinaus warnt der Bericht vor einem langen Weg, um verlorenen Boden zurückzugewinnen – selbst im günstigsten Fall wird es sieben bis acht Jahre dauern, bis das Niveau der Kinderarmut, das vor der Covid-Pandemie bestand, wieder erreicht ist.

Als weiteren Beleg für den Rückschritt nennt der Bericht, dass heute rund 60 Millionen Kinder mehr in von Armut betroffenen Haushalten leben als noch vor der Pandemie. Darüber hinaus haben im Jahr 2020 mehr als 23 Millionen Kinder keine wichtigen Impfstoffe erhalten – ein Anstieg um fast 4 Millionen gegenüber 2019 und die höchste Zahl seit 11 Jahren.
 
Bereits vor der Pandemie litten weltweit etwa eine Milliarde Kinder unter mindestens einem schweren Missstand: ohne Zugang zu Bildung, Gesundheit, Unterkunft, Ernährung, sanitären Einrichtungen oder Wasser. Diese Zahl steigt nun, da der ungleiche Aufschwung die Kluft zwischen wohlhabenden und armen Kindern weiter vergrössert, wobei die am stärksten ausgegrenzten und verletzlichen Kinder am meisten betroffen sind.

Der Bericht stellt fest:

•    Auf dem Höhepunkt der Krise gingen mehr als 1,5 Milliarden Schülerinnen und Schüler wegen der landesweiten Schulschliessungen nicht in die Schule. Weltweit fiel im ersten Jahr der Krise fast 80 Prozent des Unterrichts aus.
•    Von psychischen Erkrankungen sind weltweit mehr als 13 Prozent der Jugendlichen im Alter von zehn bis 19 Jahren betroffen. Bis Oktober 2020 hatte die Pandemie in 93 Prozent der Länder weltweit wichtige psychische Gesundheitsdienste unterbrochen oder zum Erliegen gebracht.
•    Durch die Covid-19-Pandemie besteht die Gefahr, dass bis zum Ende des Jahrzehnts bis zu 10 Millionen zusätzliche Kinderehen geschlossen werden.
•    Die Zahl der Kinder, die Kinderarbeit leisten, ist weltweit auf 160 Millionen gestiegen – ein Anstieg um 8,4 Millionen Kinder in den letzten vier Jahren. Bis Ende 2022 besteht die Gefahr, dass weitere 9 Millionen Kinder aufgrund der durch die Pandemie ausgelösten Zunahme der Armut in die Kinderarbeit gedrängt werden. 
•    Auf dem Höhepunkt der Pandemie lebten 1,8 Milliarden Kinder in den 104 Ländern, in denen die Dienste zur Gewaltprävention und -bekämpfung ernsthaft unterbrochen waren.
•    50 Millionen Kinder leiden an akuter Mangelernährung, der lebensbedrohlichsten Form der Mangelernährung. Diese Zahl könnte sich bis 2022 aufgrund der Auswirkungen der Pandemie auf die Ernährung der Kinder, die Ernährungsdienste und die Ernährungsgewohnheiten um 9 Millionen erhöhen.

Neben der Pandemie warnt der Bericht auch vor anderen Bedrohungen für Kinder, die ihre Rechte massiv gefährden. Weltweit leben 426 Millionen Kinder – fast jedes fünfte Kind – in Konfliktgebieten, die immer gefährlicher werden und immer mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern, wovon Kinder unverhältnismässig stark betroffen sind. Frauen und Mädchen sind am stärksten von konfliktbedingter sexueller Gewalt bedroht. 80 Prozent aller humanitären Notlagen sind auf Konflikte zurückzuführen. Ebenso leben etwa eine Milliarde Kinder – fast die Hälfte aller Kinder weltweit – in Ländern, die durch die Auswirkungen des Klimawandels extrem gefährdet sind.
 
Um zu handeln, sich zu erholen und die Zukunft für jedes Kind neu zu gestalten, ruft UNICEF weiterhin auf zu:

•    Investitionen in Sozialschutz, Humankapital und Ausgaben für eine integrative und widerstandsfähige Erholung;
•    Beendigung der Pandemie und Umkehrung des alarmierenden Rückschritts bei der Gesundheits- und Ernährungssituation von Kindern – auch durch Nutzung der entscheidenden Rolle von UNICEF bei der Verteilung von Covid-19-Impfstoffen;
•    Besseren Wiederaufbau durch die Gewährleistung von hochwertiger Bildung, Schutz und guter psychischer Gesundheit für jedes Kind;
•    Aufbau von Resilienz, um Krisen besser vorzubeugen, besser auf sie zu reagieren und Kinder vor ihnen zu schützen – einschliesslich neuer Ansätze zur Beendigung von Hungersnöten, zum Schutz von Kindern vor dem Klimawandel und zur Neukonzipierung von Ausgaben zur Katastrophenhilfe.  

«In einer Zeit globaler Pandemien, zunehmender Konflikte und eines sich verschärfenden Klimawandels war ein Ansatz, bei dem das Kind im Mittelpunkt steht, noch nie so wichtig wie heute», sagt Henrietta Fore. «Wir befinden uns an einem Scheideweg. Während wir mit Regierungen, Gebern und anderen Organisationen zusammenarbeiten, um unseren gemeinsamen Weg für die nächsten 75 Jahre festzulegen, müssen wir dafür sorgen, dass die Kinder bei den Investitionen an erster Stelle stehen und bei den Kürzungen an letzter. Das Versprechen unserer Zukunft wird durch die Prioritäten bestimmt, die wir in unserer Gegenwart setzen.»

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